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12. Kommunismus: Theorie gut, Praxis schlecht. Christentum: ebenfalls. Und wer bekämpfte den Kommunismus am eifrigsten? Die Christen – auch jetzt noch, und feiern sein Aufgeben als ihren Sieg. Ihre Propaganda ist voller Dogmen, die sich nicht bewähren, z.B. Freiheit, privates Unternehmertum, Eigenverantwortung, Wachstum nützt allen, Eigennutz nützt allen, Charity, das Erdenleben ist nur Vorstufe zum Himmel usw. Das Ur-Christentum war näher beim Sozialismus als beim Kapitalismus! Kronzeuge: Leonhard Ragaz.

a) Von meinem politischen Lehrmeister, Herrn Wyss (vgl. Kap. 1), lernte ich anfangs der 60er Jahre, dass in einem sozialistischen, also überwiegend staatlichen Wirtschaftssystem die Arbeit nach dem Grundsatz „Jedem nach seiner Leistung“ entlöhnt wird, im Kommunismus hingegen, der Fortentwicklung in Richtung Überfluss, „Jedem nach seinen Bedürfnissen“.

Reichlich abstrakt, nicht wahr? Und reichlich unrealistisch, aus der Rückschau auf jene Zeit betrachtet. Immerhin: Die ökonomischen Verhältnisse und als Folge davon die sog. Sozialpartnerschaft wären friedlicher, wenn das Lohngefälle zwischen den am besten und den am schlechtesten bezahlten Arbeiten im Rahmen von etwa 12 zu 1 wären, wie das eine kürzlich abgelehnte Volksinitiative forderte. Real existiert ja bei uns ein Lohngefälle von einigen Hundert zu eins (vgl. Kap. 30), und die Superreichen mehren ihr Vermögen in einem unverschämten Ausmass, ohne dafür zu arbeiten. Wie kann einer Milliardär oder gar Multimilliardär werden, ohne andere zu bestehlen? Mit Fleiss und Mehrwertschöpfung allein, also auf anständige Weise, ist das niemals zu schaffen. Deswegen machte Russlands Putin dem Herrn Chodorkowsky (Multi-Milliardär im Alter von 35, nachdem er sich einen zuvor staatlichen Öl-Konzern unter den Nagel gerissen hatte) den Prozess und warf ihn ins Gefängnis. Trotzdem: auch rechtschaffene Schweizer feiern diesen als Helden der Freiheit und Märtyrer in einem schlechteren System als dem unsrigen (NZZ und TA 27.2.20)

b) Sei’s drum. In meinen Diskussionen jener Zeit wurde mir oft gesagt, die Ideale des Kommunismus seien schon recht, eine sozialistische Welt wäre gerechter; aber die Umsetzung in die Praxis und dann diese selbst seien unrealistisch, scheiterten an der egoistischen Natur des Menschen und förderten nur Gleichmacherei, Langeweile, Überwachung und Zwang; und wer das Privateigentum abschaffen wolle, sei ein Dieb. Deshalb sei es richtig, solche Ideen gar nicht erst aufkommen zu lassen und beim Bewährten zu bleiben, ja dieses zu verteidigen und mit Reformen zu optimieren.

Dahinter verbirgt sich die Meinung, dass ein gutes Ideal falsch und zu bekämpfen sei, wenn seine Umsetzung mehrheitlich doch nicht gelinge. Diese Meinung ist bedeutsam, denn sie hat Menschheits-Geschichte geschrieben. Wie sagte doch Rousseau (vgl. Kap. 1): Der Erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen liess zu sagen: ‚Dies ist mein’, und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen hätte.“ Die Menschheit hat ja grossmehrheitlich entschieden, die Pfähle für gut und in Ordnung zu befinden, ja sie heilig zu sprechen. Privateigentum ist heilig: vor 1917 und seit 1989 universell. Und je fundamentaler die Menschen sich Christen nennen, desto eher gilt das, z.B. für die Republikaner in den USA und speziell für die Tea-Party und Donald Trump, einen Christen.

c) Werfen wir einen Blick auf das, was uns aus dem Ur-Christentum überliefert ist: Alles gehört allen, jeder und jede sorgt auch für alle andern und teilt mit allen. So jedenfalls verstehe ich die Botschaft des Evangeliums, und nicht nur ich. Und in diese Richtung zielte der Sozialismus, indem er „eine auf Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit beruhende Gesellschaft verwirklichen“ wollte (Brockhaus 1988, dtv). Das ist heute noch die Zielvorstellung der „Christen für den Sozialismus“, die sich auf den Theologen Leonhard Ragaz (1868-1945) berufen; sie haben noch „die Bewahrung der Schöpfung“ hinzugefügt.

Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, was das Christentum in den 2000 Jahren seines Bestehens angerichtet und wie es die gegenwärtige Welt eingerichtet hat, dann müssen wir uns doch eingestehen, dass die Umsetzung in die Praxis und diese selbst grossmehrheitlich und gründlich missraten sind. Es ist eine gigantische Kriminalgeschichte (Karl-Heinz Deschner), ziemlich das Gegenteil der Ideale des Ur-Christentums und seines Begründers. Ich setze das entsprechende geschichtliche und gegenwartsbezogene Wissen als bekannt voraus und erinnere nur daran, dass es Christen waren, welche die Kommunisten in die Konzentrationslager warfen und ermordeten. Hitler war Katholik, wie der Münchner Kardinal Michael Faulhaber 1936 bestätigte: „Der Reichskanzler lebt ohne Zweifel im Glauben an Gott.“ Und der SS-Obmann Heinrich Himmler erklärte deutlich: „Ich dulde keinen in der SS, der nicht an Gott glaubt – ich dulde keine Atheisten.“ Spätestens 1936 wurden alle Freidenker-Organisationen verboten (frei-denken.ch 2019 S.17).

d) Wenn wir nun die genannte Meinung auf das Christentum anwenden, ein gutes Ideal müsse bekämpft und dessen Repräsentation in der Welt abgeschafft werden, weil ja seine Umsetzung mehrheitlich doch nicht gelinge, dann müssten die Gegner des real existierenden Sozialismus schleunigst das real existierende Christentum ebenfalls abschaffen: den Papst, die ganze Hierarchie dieser Religion, die religiöse Erziehung der Kinder und sowieso alles, was mit Mission auch nur im entferntesten zu tun hat. Konsequent wäre, den Atheismus zur Staats“religion“ zu erklären oder jedenfalls eine strikte Trennung von Kirche und Staat durchzusetzen, insbesondere bei der Finanzierung.

Oder umgekehrt: Wenn es kein Argument ist, dass die Umsetzung nicht auf Anhieb klappt, dann war es grundfalsch, den real existierenden Sozialismus zu bekämpfen. Dann hätten alle, welche die genannten Ideale des Sozialismus befürwortet haben, sich ins Zeug legen müssen, um den Aufbau eines auf diesen Idealen basierenden Staates mit aller Kraft voranzutreiben, statt diesem Aufbau schon bei kleinen Irritationen in den Rücken zu fallen und sich bei grösseren sogleich dem Gegner anzudienen (vgl. Kap. 11). Dann hätte es nicht sein dürfen, dass sich die „Christen für den Sozialismus“ nach dem sog. Ungarn-Aufstand 1956 und dem Mauerbau 1961 von den strammen Antikommunisten gegen den „Ostblock“ instrumentalisieren liessen. Und schon gar nicht war zielführend, den Gottesglauben gegen den Atheismus auszuspielen. Das nützte nur dem Papst, seinem Antikommunismus und seinen Papageien. Zielführend wäre gewesen, mit vereinten Kräften den Sozialismus zu verwirklichen, die einen gottesfürchtig und die anderen nicht.

Ich bin gespannt darauf, was die „Christen für den Sozialismus“ heute zur Idee sagen, diesem realpolitisch eine zweite Chance zu geben, wie ich das hier propagiere.

e) In den USA war, kaum hatte man sich nach dem 2. Weltkrieg ideologisch auf die kommenden Perspektiven besonnen, das Gegenteil passiert. Ausgerechnet in den frommen USA (der ganze Subkontinent besteht fast ausschliesslich aus Christen, wenn auch unterschiedlichster Prägung) kam eine Strömung auf, welche eine Hexenjagd machte auf Individuen, die mit dem Sozialismus/Kommunismus liebäugelten oder denen man das unterstellte. Diese Männer und Frauen waren Intellektuelle oder Künstler und auch völlig unpolitische Menschen, also alles andere als Mörder im Stile dessen, was die westliche Propaganda Stalin & Co. vorwarf. Es gab um 1950 ein Committee on un-American Activities, also gegen unamerikanische Umtriebe, und den Vorsitz übernahm ein gewisser Joseph McCarthy (1908-1957), der mit seinem Namen eine ganze Ära prägte. Den Tipp für seine Aktivität hatte er an einem Bankett vom Jesuitenpater Edmund Walsh auf die Frage erhalten, wie man den USA in diesen grossen und schweren Zeiten helfen könne. Ohne zu zögern antwortete Walsh, es sollte ein Senatsausschuss gebildet werden, der den Kommunismus im Lande ausrotte (L.L.Matthias S. 215). McCarthy stürzte sich in diese Aufgabe, deren Praxis ich als bekannt voraussetze. Unlängst wurden wir daran erinnert: Bryan Cranston aka Trumbo, ein gefragter Filmschauspieler, stand damals unter Berufsverbot und als Autor auf einer Schwarzen Liste, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei der USA war. Er setzte sich in Hollywood für bessere Arbeitsbedingungen ein – und wurde von John Wayne und Ronald Reagan angefeindet (20Min. 12.7.16 S.17). Also: Christen, deren Vorbild (Gottes Sohn!) den Ausgleich zwischen Reich und Arm gepredigt hatte, politisch demnach eine egalitäre Gesellschaftslehre vertrat, solche Christen kämpften erbittert gegen eine Ideologie, welche ebenfalls eine egalitäre Gesellschaft anstrebt !! – Natürlich ist mir auch hier bewusst, dass das ungeheuer vielschichtig ist. Aber in den Grundzügen ist es doch eigentlich paradox, oder nicht?

Der Rest der Kapitel-Überschrift ist selbsterklärend.

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