14. Lateinamerika oder „Die Kehrseite der USA“ von L.L. Matthias, Rowohlt 1964 – die südlichen Satelliten unter der Knute der Yankees
a) Ein Verbindungsbruder (vgl. Kap. 1c) schenkte mir 1964 das eben erschienene Buch des Deutsch-Amerikaners Leo Lawrence Matthias (1893-1970) mit dem Bild der Freiheitsstatue von hinten und dem Titel „Die Kehrseite der USA“. Matthias immigrierte in die USA von Süden kommend, nicht von Osten wie die meisten Europäer. In Lateinamerika hatte er mit vielen amerikanischen Geschäftsleuten zu tun und spürte deren Verachtung für ihre Vertragspartner: „Jeder Amerikaner hielt jeden Lateinamerikaner für einen mehr oder minder olivfarbigen <son of a bitch> und sich selbst für eine Rose, wie sie nur in Gottes eigenem Lande gedeihen konnte“ (S.11). Das war die Kehrseite der Monroe-Doktrin „Amerika den Amerikanern“ , mit der 1823 den Europäern verboten wurde, sich in Lateinamerika einzumischen (Territorialschutz). Ergänzt durch die Truman-Doktrin (März 1947, vgl. Kap. 10) bedeutete sie, dass die USA auf ihrem Kontinent keinen Einfluss des Kommunismus dulden wollten, aber auch wirtschaftlich und militärisch eine Hegemonie anstrebten, die ausschliesslich ihren Interessen diente: Ausbeutung von Ressourcen wie Kupfer, Nickel, Zinn, Öl, Bananen sowie Verhinderung von umstürzlerischen Umtrieben. „In den Händen der Amerikaner befanden sich nicht nur die Bodenschätze und die Fabriken, sondern auch die Regierung des Landes“ (S.13). Die USA organisierten zahllose Putsche/Regime Changes und intervenierten militärisch, wann immer sie es für nötig fanden. So besetzten sie Nicaragua 1912-1925 und 1926-1933 und setzten die Somoza-Dynastie ein, welche von den Sandinisten 1979 vertrieben wurde. Das Ziel war stets, rechtsautoritäre oder Militärdiktaturen zu installieren, die auf politische und soziale Reformen verzichteten und die Investitionen der amerikanischen Unternehmen unangetastet liessen, demgemäss auch deren Gewinn-Transfer, und die jede Opposition im Keim erstickten. Man kann sagen, dass die Lateinamerikaner die Gewehre selber zahlten, die auf sie gerichtet waren, um sie in Schach zu halten. Luis Quintanilla del Valle, ein mexikanischer Autor (1900-1980), hat die Militär-Interventionen der USA in die Republiken Lateinamerikas gezählt und für 50 Jahre mehr als 60 angegeben (S.14). Berüchtigt und jetzt endlich zur Sühne gebracht (NZZ 30.5.16 S.3) ist die Operation Condor, mit welcher die Diktatoren in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Paraguay und Uruguay ab 1975 unliebsame Links-Politiker verschleppen und ermorden liessen: etwa 50’000 Ermordete, 350’000 Verschwundene und 400’000 Gefangene. Die Schergen wurden vom FBI und CIA im US-Militärlager School of the Americas in Panama ausgebildet sowie logistisch und technisch unterstützt, dies auf Geheiss des US-Aussenministers Henry Kissinger.
b) Von Herrn Wyss (vgl. Kap. 1) hatte ich die marxistische Analyse auf Europa bezogen gelernt, von L.L. Matthias lernte ich die Analyse bezogen auf Amerika. Sein Buch ermöglichte es mir, die politische Rolle der USA im Kalten Krieg vertieft zu verstehen. Diese Siegermacht übernahm es nun als historischen Auftrag, wo immer möglich rechtsautoritäre Regimes auch in Europa, Afrika und Asien zu installieren, um so zu Investitions- und Absatzmärkten zu gelangen und „den Kommunismus einzudämmen“. Ich erkannte dieses Ziel als die weltpolitische Generallinie der USA: sie strebte, nachdem ihre Hegemonie in Lateinamerika gefestigt war (ausser in Kuba), auch die Hegemonie in der übrigen Welt an. Ein Propaganda-Mittel dazu war, dieses Hegemonie-Streben der Sowjetunion zu unterstellen und vorzuwerfen. Das verfing, zumal sich die USA in Westeuropa ohnehin erfolgreich als Retter vor den Nazis und dem Vormarsch der Kommunisten darstellten. Einer der Schiebe-Motoren dieser Generallinie wurde zunehmend die (Rüstungs-)Industrie, in der ehemalige hohe Offiziere als hohe Manager Einsitz nahmen. 1960 waren es 1’400, während das Militärbudget der USA damals 20 Mia. $ umfasste (S.359, heute 600 Mia. $). Matthias schildert eindrücklich, wie die Symbiose von militärischem und industriellem Potential zu einem Staat im Staate wurde und das Verteidigungsdepartement bis zum Schreiben seines Buchs, gemäss einem Report in der Herald Tribune vom April 1960, „unter allen Aspekten bei weitem die grösste Organisation der Welt sei, sehr viel grösser als selbst die katholische Kirche“ (S.361). In seiner Abschiedsrede 1961 warnte denn auch Präsident Eisenhower vor der Macht des Military-Industrial Complex, der das soziale Gleichgewicht störe (S.361 f).
Matthias vermutet, dass dieser Complex 1963 Präsident Kennedy ermorden liess, dessen Politik ein Schrumpfen der Staatsaufträge befürchten liess (S.392 f). Das zirkuliert derzeit im Web:
c) Grösse, Macht und Einfluss des Militärs in seiner Ehe mit Finanz und Industrie (S.362) haben in den vergangenen 50 Jahren weiter zugenommen – ich vermute mal: im Verhältnis der genannten 20 zu 600 Mia. $ … Und die Linie der Generäle ist ziemlich die gleiche geblieben (vgl. Kap. 15, 37, 40 f). Davor warnen nun diese Essays. Die Warnung gilt gegenwärtig, als Beispiel, auch für den sog. Bürgerkrieg in Syrien: Trotz Rückzugs-Order von Präsident Trump lässt die NATO, längst verflochten mit dem Military-Industrial Complex der USA, das NATO-Mitglied Türkei gewähren, wenn dessen Präsident Erdogan im Frühling 2020 eine offenkundige Aggression gegen das souveräne Syrien befiehlt, obwohl das völkerrechtlich geschützte Prinzip der Souveränität der westlichen „Werte-Gemeinschaft“ dies verbietet. Die CDU-Regierung des NATO-Lands Deutschland (C für Christlich) genehmigt die Waffen-Verkäufe an die Türkei, diese ist der grösste Abnehmer der deutschen Waffen-Exporte. Das amerikanische Vorbild hat Schule gemacht. Deshalb wird der sog. Bürgerkrieg in Syrien, obwohl längst eine Kapitulation der „Rebellen“ und der Invasoren fällig ist, nicht so bald enden (vgl. Kap. 41) …