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22. Israel – ein Staat mit böser Absicht, aber im Schutz der westlichen Doppelmoral

a) Im sechs Tage dauernden Präventivkrieg anfangs Juni 1967 eroberte Israel das Westjordanland samt Ost-Jerusalem, die syrischen Golan-Höhen, den Gaza-Streifen und den Sinai. Diesen musste es unter internationalem Druck wieder räumen (1979-82). Es annektierte aber Ost-Jerusalem (30.7.80) und die Golan-Höhen (14.12.81) und besiedelte Westjordanien, was bis heute andauert und wohl fortgesetzt wird. Lange Zeit wurde uns gesagt, die besetzten Gebiete seien ein Unterpfand, bis der Friedensprozess mit den Palästinensern zu einem guten Ende komme („Land gegen Frieden“). Das breite Publikum im Westen glaubte das und hegte weiterhin freundliche Gefühle für diesen bedrängten Staat. Ich auch.

b) Im Widerstreit der Meinungen über die Israeli und die Palästinenser, auch über deren „Terrorakte“ sowie die Intifada 1 und 2, fiel mir allmählich die Einsicht zu, dass die Meinungen sich nicht in einer Art Patt-Situation gegenseitig aufheben müssten, sondern dass es sehr wohl staatsphilosophische Fix- oder Angelpunkte gebe, gestützt auf welche sich eine gleichsam objektive Lösung für den Friedensprozess ableiten liesse. Diese Angelpunkte nannte ich Globale Lebensgesetze und deren zentralen Fixpunkt Das Stuhl-Gesetz: Wer schon irgendwo sitzt, darf auch bleiben. Das, so nahm ich naiv an, müsste doch auch die Israeli und ihre Freunde überzeugen, zumal das Stuhl-Gesetz seit 1949 zwingendes Völkerrecht ist: Das IV. Genfer Abkommen vom 12.8.49 verbietet in Art. 49 Abs. 6 die Besiedelung eroberter Gebiete, insbesondere wenn die ansässige Bevölkerung den Eroberern weichen muss. Israel hatte dieses Abkommen im Juli 1951 ratifiziert (S. 141 meines Buchs, vgl. unten).

Ich trat 2008 der Gesellschaft Schweiz-Israel bei. In ihrem Leitbild steht: Land gegen Frieden, also die Idee vom Unterpfand. Ich hielt dort anfangs 2009, kaum war der Gaza-Krieg beendet, ein Referat mit der Darstellung meines Lösungs-Vorschlags, basierend auf den Globalen Lebensgesetzen und dem Leitbild der GSI. Ich argumentierte, dass diese Gesetze, wenn ihnen alle Menschen zustimmen können, auch für die Israeli und ihre Freunde akzeptabel sein müssen, da diese ja einen Ausgleich und Frieden mit ihren Nachbarn wünschen. Die Lösung, das leitete ich aus dem Stuhl-Gesetz ab, sei der Rückzug Israels auf die Grenze von vor 1967 und ein Friedensvertrag mit dem Staat Palästina. Das Echo war Kopfschütteln: Israel wollte stets und wolle selbstverständlich den Frieden, aber der böse Arafat wollte ihn nicht … Es gab auch Kopfschütteln darüber, dass ich als gutgläubiger Mediator gleichzeitig der Gesellschaft Schweiz-Palästina beigetreten war.

Ich habe dieses Referat ein Jahr später als Buch aufgelegt, mit noch viel genaueren Recherchen und mit wissenschaftlichem Anspruch. Es umfasst 330 Seiten, Anhänge und Karten: <Israel in Palästina – Wegweiser zur Lösung> (Melzer Verlag 2010, ISBN 978-3-9813189-5-1). Es hat kein Echo ausgelöst, wurde von niemandem aufgegriffen. Die von mir so genannten Lebensgesetze (S. 31-42), obgleich weltweit anerkannt und teilweise Völkerrecht, werden von Israel und seinen Freunden belächelt, ebenso die teilweise zwingenden UNO-Beschlüsse, welche die Räumung der 1967 besetzten Gebiete befahlen. Der Siedlungsbau geht weiter. Mir ist nun klar: Israel will keinen Frieden mit dem Nachbarn, sondern es will dessen Land, Grundwasser und Arbeitskräfte. „Palästina“ ist auf seinen Landkarten längst ein Bestandteil Israels, vom Mittelmeer bis zum Jordan, Jerusalem ist die Hauptstadt, und die Autonomie-Gebiete sind ein Flickenteppich, sind Reservate oder Bantustans, umgeben von Gross-Israel (S. 428 ff, http://info.arte.tv/de/israels-landesgrenzen-und-siedler-damals-und-heute). Die Gerichte in Israel machen keinen Unterschied zwischen diesem und den besetzten Gebieten; das zeigt der Ausweisungsbefehl des Obersten Gerichts gegen den Direktor von Human Rights Watch, nachdem dieser die Bewegung zur Ächtung von Produkten aus den besetzten Gebieten (BDS) unterstützt hatte. 

c) Diese Entwicklung veranlasst mich nun, die israelische Palästina-Politik in einen radikal anderen Kontext zu stellen und sie bösartig zu nennen. Das ist zwar ein fast antiquierter Moral-Begriff. Aber er galt im Zeitraum, den ich nachstehend schildere, noch uneingeschränkt und macht auch heute wieder Sinn, zumal die USA unter George W. Bush die Begriffe „Achse des Bösen“ und „Schurkenstaat“ benutzten, um ihren Herrschaftsbereich auszudehnen und zu sichern. Ich will mit dem Begriff „böse Absicht“ denjenigen den Rücken stärken, die unter dieser Absicht litten und leiden, und auch denjenigen, die von Präsident Bush jr. gemeint sind, ohne es zu verdienen. Denn was haben Kuba, Libyen, der Iran und Nord-Korea verbrochen, wenn sie mit Israels Palästina-Politik verglichen werden, namentlich von 1967 bis heute. Böse heisst in diesem Kontext: militärische Vertreibung und ethnische Säuberung, Raub von Land, Wasser und Würde, Unterdrückung im Sinne von Apartheid, Aufsplitterung von Palästina in Bantustans oder Reservate, willkürliche Morde an Partisanen, Patrioten und Guerilla-Kämpfern, welche ihre Heimat und ihren Besitz verteidigen, Inhaftierung oder Verbannung ohne Prozess, menschenverachtende Schikanen durch Polizei und Armee – alles mit dem Ziel, den Palästinensern den Verbleib in ihrem Siedlungsgebiet zu verleiden, sie zum Aufgeben und Auswandern zu veranlassen. Israel hat dieses Ziel von Anfang an verfolgt, wie meine Recherchen in unverdächtiger Literatur ergaben, und die Propaganda seiner westlichen Verbündeten hat es verheimlicht und/oder vergessen gemacht:

    • Was die Gründer des Staates Israel mit den gewaltsam vertriebenen Palästinensern vorhatten, hat David Ben Gurion am 18.7.48 seinem Tagebuch anvertraut, mitten in der militärischen Umsetzung des Plans Dalet: „Wir müssen alles tun, um sicherzugehen, dass sie niemals zurückkommen. … Die Alten werden sterben, die Jungen werden vergessen.“ (zitiert auf S. 59 meines Buchs).
    • Am 11.5.49 wurde Israel Mitglied der UNO. Diese bestand damals noch nicht aus fast 200, sondern aus gut 50 Mitgliedern (S. 55), und das Sagen hatten die europäischen Kolonialmächte, die UdSSR und die USA. Israel wurde aufgenommen unter der Bedingung, dass es sich auf die Grenzen des UNO-Teilungsplans von 1947 zurückziehe (nur gut die Hälfte der 1948 eroberten Fläche, S. 424) und die Rückkehr der Flüchtlinge ermögliche (S. 60). In der Israel-Euphorie der 50er Jahre ging diese Bedingung der Resolution 194 vom 11.12.48 vergessen.
    • Die arabischen Staaten hatten übrigens diesen Teilungsplan abgelehnt, weil er ihnen, wie sie argumentierten, einen zu grossen Verzicht zugemutet hätte (S. 55). Die Antwort Ben Gurions war am 3.12.47, also fünf Monate vor der Staatsgründung: Dann werden die künftigen Grenzen Israels „durch Gewalt entschieden, nicht durch die Teilungsresolution“ (S. 56). So geschah es (Plan Dalet), und so blieb es bis 1967, trotz der erwähnten Bedingung.
    • Israel riss ab 1948 nicht nur die Häuser der Vertriebenen ab und konfiszierte ihr Land, es übergab auch ihre Bankvermögen dem Custodian of Absentee Property – ein Tag Abwesenheit genügte, damit jede Rückkehr untersagt war. Mit diesem Geld finanzierte Israel die Einreise von Juden, denen es das konfiszierte Land zuteilte (S. 60, 89, 128).
    • Es beschlagnahmte in privaten und öffentlichen Bibliotheken rund 70’000 Bücher und katalogisierte später einen Zehntel davon in seiner eigenen Nationalbibliothek mit dem Vermerk Abandoned Property (vgl. Kap. 21e).
    • Als es am 17.12.49 den Sitz seiner Hauptstadt von Tel Aviv nach West-Jerusalem verlegte, wurde es am 20.12.49 vom UNO-Treuhandschaftsrat verurteilt (S. 61, 89). In dieser Verlegung kündigte sich, so meine ich, die Absicht an, Jerusalem den Palästinensern, denen diese Stadt ebenfalls Heimat und Heiligtum bedeutet, zu entreissen.
    • Gemäss Rückkehr-Gesetz vom 5.7.50 erhielt jeder jüdische Immigrant automatisch die israelische Staatsbürgerschaft (S. 89).
    • Israel lehnte den UNO-Beschluss vom 25.6.63, welcher das Rückkehr- bzw. Entschädigungsrecht der vertriebenen Palästinenser bekräftigte, erneut ab. Es begann mit der Ableitung des Jordans zur Bewässerung der Negev-Wüste (S. 91).
    • Die noch heute andauernde ideologisch-politische Patt-Situation zwischen Israel und den palästinensischen Patrioten (ja, ein ungewohnter Ausdruck, analog zu Wilhelm Tell und Winkelried) zeigte sich ab 1965, als die Fatah und die PLO nach ersten militärischen Aktionen als „Terroristen“ bezeichnet wurden, mit denen man nicht verhandelt (S. 91).
    • Israel behandelt die im Land gebliebenen Palästinenser (immerhin etwa 1/5 seiner Bevölkerung, vor und nach 1967) rechtlich und faktisch als Bürger 2. und 3. Klasse (S. 92 und ausführlich im 5. Kap. ab S. 123).
    • Nach dem erfolgreichen Präventivkrieg vom Juni 1967 begann Israel sofort mit der Eingliederung von Ost-Jerusalem sowie mit der Besiedelung Westjordaniens (bis heute) und des eroberten Gaza-Streifens (bis 2005), und es widersetzte sich der völkerrechtlich bindenden Nahost-Resolution 242 des UNO-Sicherheitsrats vom 22.11.67, welche den Rückzug aus den eroberten Gebieten und eine gerechte Regelung des Flüchtlingsproblems (gemeint: von 1948) verlangte (S. 93).
    • Israel widersetzte sich nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 auch der ebenfalls verpflichtenden Resolution 338 vom 22.10.73, welche „Frieden in anerkannten Grenzen (gemeint: bis 1967) gegen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten“ anordnete (S. 95) – also Frieden gegen Land-Rückgabe.
    • Fast vergessen: Die UNO-Vollversammlung verurteilte den Zionismus am 10.11.75 als „Bedrohung des Weltfriedens“ (S. 95).
    • Am 30.7.80 annektierte Israel das 1967 eroberte und mit Siedlungen auf ein Vielfaches vergrösserte Ost-Jerusalem und erklärte das vereinigte Jerusalem zur ewigen Hauptstadt (S. 96). Für die Weltgemeinschaft ist das völkerrechtswidrig, weshalb offiziell immer noch Tel Aviv die Hauptstadt ist.
    • Am 14.12.81 folgte dann die Annexion der syrischen Golan-Höhen.
    • Die israelische Armee fiel am 6.6.82 in Libanon ein, belagerte Beirut und inszenierte am 16./18.9.82 in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila ein Massaker (S. 96).
    • Nach Ausbruch der 1. Intifada („Revolte der Steine“) am 9.12.87 kaufte sich Ariel Scharon in Jerusalem inmitten arabischer Häuser ein Wohnhaus, ohne es je zu bewohnen (S. 96). Er „spazierte“ am 28.9.2000 im Schutz von 1’000 bewaffneten Polizisten zur Al-Aksa-Moschee und zum Felsendom, den wichtigsten palästinensischen Heiligtümern. Dies löste die 2. Intifada aus, die „Revolte der Gewehre“ (S. 99).
    • Zuvor waren im Oslo-Friedensprozess (1992/93 sowie 1995) Teil-Autonomien für die Palästinensischen Gebiete im Westjordanland vereinbart worden, welche den bis heute bestehenden Flickenteppich ausmachen (S. 430).
    • In all diesen Jahren wurden die Räume zwischen den Flicken von Israeli sukzessive besiedelt: bis 1995 waren es 200’000, bis 2010 weit über 500’000 Siedler (S. 167). Nach den Plänen der Regierung wird diese Zahl in den kommenden Jahren massiv erhöht (S. 109). Ende 2014 sind es 400’000 im Westjordanland und 200’000 in Ost-Jerusalem. In dessen arabischem Stadtteil Silwan soll demnächst ein weiteres Haus für jüdische Familien gebaut werden, neben einem ähnlichen Gebäude (SDA in 20Min. 16.6.16 S.11). In der Regel geht solchen Neubauten der Abriss von Häusern voraus, welche von Arabern bewohnt waren.
    • Auch die UNO-Resolution 1397 vom 13.3.02 wollte zwei Staaten Seite an Seite, „innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen“ (S. 100). Ariel Scharon hatte aber schon zum Oslo-Friedensprozess gesagt: „Das ist die grösste Katastrophe, die Israel je erlebte“ (S. 98). Und nun, als Premier, kam eine Zwei-Staaten-Lösung, also ein souveräner Staat Palästina = ein Teppich ohne Zwischenräume, sowieso nicht in Frage. Er bezeichnete die Oslo-Papiere am 6.9.02 als Makulatur (S. 101).
    • Auf die „Roadmap“ vom 30.4.03 (im wesentlichen die Zwei-Staaten-Lösung, favorisiert von der UNO, USA, EU und Russland) antwortet Israel am 1.10.03 mit dem Beschluss zum Bau der Mauer östlich der Grenze von 1967, also auf palästinensischem Gebiet (S. 101). Sie wurde vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag am 9.7.04 als völkerrechtswidrig erklärt (S. 157) und gleichwohl gebaut (S. 429). Die ansässige Bevölkerung wird täglich zu Umwegen gezwungen, gedemütigt und schikaniert (S. 157-165).
    • In Annapolis/USA vom 27.11.07 wurde die Roadmap bekräftigt, aber in den Direktverhandlungen erwartete Israel von den Palästinensern, dass sie von den 22% des ursprünglichen Palästina weitere Abstriche machen (S. 102).
    • Nach der Grundsatzrede von Barak Obama in Kairo (4.6.09) stimmte Premier Netanjahu am 14.6.09 einer Zwei-Staaten-Lösung zu, allerdings unter Bedingungen, welche einer vollen Souveränität des Staates Palästina diametral entgegengesetzt wären (S. 107).
    • Scharon liess den 1967 besetzten und besiedelten Gaza-Streifen 2005 räumen. Die am 25.1.06 korrekt gewählte Hamas-Regierung wurde jedoch international geächtet und mit gezielten Tötungen bekämpft (S. 101, 184). Israel riegelte den Streifen 2007/08 völlig ab und führte, nach dem gegen diese Blockade gerichteten Raketen-Beschuss und nachdem es den Waffenstillstand vom 19.6.08 (S. 186) gebrochen hatte (S. 103, 187), im Jahreswechsel 2008/09 einen Krieg mit über 1’300 Toten (S. 189). Mitte 2014 haben wir den dritten solchen Krieg erlebt (> 2’000 Tote), wiederum mit einer grosszügigen Geber-Konferenz: 5 Mia. $ für den Wiederaufbau. Diese Kriege wiederholen sich periodisch, u.a. um Spenden aus den USA zu erhalten – Israel kann aus eigener Kraft nicht existieren (S. 147). – Es gibt keinen völkerrechtlichen, moralischen oder politischen Grund, den Gaza-Streifen abzuriegeln und dort 2 Mio. Menschen gefangen zu halten, seit mittlerweile 12 Jahren. Noch nie hat ein Volk an einem anderen Volk ein solches Verbrechen begangen: gefangen und dreimal bombardiert.
    • Donald Trump anerkennt am 7.12.17 namens der US-Regierung, dass Jerusalem (ungeteilt) die Hauptstadt Israels sei. Daraufhin bricht die Autonomiebehörde den Kontakt zu den USA vollständig ab.

d) Die Führung der Palästinenser wollte in all diesen Jahren den sogenannten Friedensprozess nur fortführen, wenn Israel einen dauerhaften Siedlungsstop anordne. Sie will, wie ich das nannte, nicht über die weitere Aufteilung der Pizza verhandeln, während die andere Seite diese auffrisst – zumal sie dieser, wenn die Gebote der Fairness und des Völkerrechts angewendet würden, ohnehin und überhaupt nicht zusteht. Der altgediente Knesset-Abgeordnete Uri Avnery vergleicht die Inbesitznahme von palästinensischem Land vom Mittelmeer bis zum Jordan mit dem Drang eines Flusses, der keinem andern Gesetz als der Schwerkraft folgt – eben: bis zum Jordan (S. 174). Auf ähnliche Weise haben die Weissen Nordamerikas die Indianer enteignet und in Reservate gezwängt (S. 426 f) – nur dass dies den Israeli wie erwähnt seit 1949 eigentlich verboten ist. Entgegen allen Friedensbeteuerungen folgen sie einer Hidden Agenda: „Wir nehmen uns alles, wir behalten alles, und wir besiedeln alles, bis zum Jordan – ohne Entschädigung und ohne Scham“ (S. 172). Israel deckt 40% seines Wasserbedarfs aus Grundwasser im Westjordanland, während die dort Ansässigen ihr Wasser kaufen müssen. Die Siedler besprengen ihren Rasen und lassen ihre Kinder in Pools planschen, während für die Palästinenser das Wasser rationiert ist (S. 164). In den besetzten Gebieten schützt die Armee den Dieb und nicht den Bestohlenen (S. 141 ff). In einem Prozess vor dem Obersten Gerichtshof sagten die Anwälte des Justizministeriums: „Der Staat Israel befindet sich mit dem palästinensischen Volk im Krieg, Volk gegen Volk, Kollektiv gegen Kollektiv“ (S. 173). Eine Armee-Einheit verteilte T-Shirts mit dem Bild einer schwangeren arabischen Frau sowie einem auf ihren Bauch gerichteten Gewehr, mit dem Text: „Ein Schuss, zwei Tote.“ Das ist zwar nicht die Meinung aller Israeli, aber derjenigen an der Front. Sonst wäre Hauptmann R. bestraft worden, der nach seinem Mord an der 13-jährigen Iman-al-Hams Ende 2004 sagte: „Alles, was mobil ist, was sich in der Zone bewegt, und wenn es ein Dreijähriger ist, muss getötet werden. Ende.“ (S. 173) Die Zone, das war Gaza, ein 1967 besetzter, rechtsfreier Raum.

Ich schreibe das einseitig nieder, um den Drang der National-Religiösen „bis zum Jordan“ zu belegen. Schon 1988 schrieb Rabbi Moshe Levinger: „Das war unsere Strategie: Die allmähliche Besiedelung hinzuziehen, bis sie am Ende akzeptiert würde, wenn der passende Augenblick da war. Wir wussten stets, wie wir den Faktor Zeit im demokratischen Spiel zu nutzen hatten. Timing war immer von Bedeutung für uns, weil die verstreichende Zeit zu unseren Gunsten arbeitete. Man gewöhnte sich einfach an die Fakten vor Ort.“ (S. 171) Da spricht einer für alle. Und mir macht niemand weis, dass solche Gedanken und Gelüste nicht schon vor 1967 bestanden. Und heute bestehen sie weiterhin, ja intensiver denn je. Und tatsächlich: die westliche Wertegemeinschaft kümmert sich nicht um die Verbrechen der Israeli, sondern derzeit um Assad, der die Golan-Höhen gern zurückhaben möchte (vgl. Kap 2 und 41).

e) Natürlich wehrten sich die Palästinenser, oft auch mit Gewalt, oft auch gegen zivile Ziele ausserhalb Israels (Kreuzfahrtschiff Achille Lauro, Flugzeuge, Olympiade in München usw. S. 350). Man kann sie dafür verurteilen – Israel tat dies mit der Beschimpfung als Terroristen, der Westen stimmte ein und tut dies bis heute. Der Westen hat aber in seiner Israel-Euphorie im ganzen 20. Jh. übersehen, dass Israel ständig im Vormarsch und in der illegalen Offensive war (einzig im Jom-Kippur-Krieg am 6.10.73 wurde es angegriffen, S. 94) und die Palästinenser ständig auf dem Rückzug, in der Defensive, und dass diese während des Kalten Krieges in ihrem Widerstandskampf keine westlichen Verbündeten hatten. Wie sonst hätten sie auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam machen können? – sollen? Flugblätter verteilen vor der Migros, Unterschriften sammeln, Sitz-Streiks ?? Das haben sie übrigens gemacht, ohne Echo. Ich erinnere mich an ein Blättchen namens INTIFADA. Es schilderte, wie die israelischen Besatzer das Grundwasser anzapften und den Palästinensern verboten, gleich tiefe Brunnen zu graben. Ich habe das kaum glauben können, hörte es aber von einer unabhängigen Hydrologin bestätigt. Wer wundert sich hier über verzweifelte Gewaltausbrüche? Die „Terrorakte“ der Palästinenser waren und sind Defensivakte, und sie handelten als Patrioten. Dies entspricht der Schweizer Armee-Doktrin im Fall einer Besetzung.

f) Ich nenne den erwähnten Drang nach Osten, vom Mittelmeer bis zum Jordan, eine böse Absicht. EIN Volk ist seit Jahrzehnten daran, einem ANDEREN Volk dessen Land zu stehlen, sein Grundwasser sowie seine Würde und seine Entwicklungschancen. Wenn das Moral-Urteil <böse> auf dieses Staatsverhalten nicht passt, dann weiss ich nicht, auf welches denn sonst. Ein anständiger Staat verleugnet nicht, dass er durch Waffengewalt entstand. Was hindert die Enkel daran, zu den Taten der Grossväter zu stehen? Und ein anständiger Staat setzt alles daran, erobertes Land gegen einen Friedensvertrag zu tauschen, statt es zu besiedeln. Anstand wäre Gehorsam gegenüber dem Völkerrecht und den UNO-Beschlüssen. Wen das Moral-Urteil <böse> stört, der/die möge es ersetzen durch unanständig, unfair. Das trifft es auch, obwohl ich es als verharmlosende Abschwächung dessen empfinde, was die Israeli den Palästinensern seit nunmehr bald 70 Jahren antun. Mit dem Prädikat <böse> möchte ich gedanklich aufschrecken: Aha, da meint es einer humorlos ernst, der den Anstand der westlichen „Werte-Gemeinschaft“ auf ihr gehätscheltes Kind anwendet und sein Urteil erst noch detailliert begründet, nachvollziehbar.

g) Der Westen, allen voran die USA und das schuldgeplagte Deutschland (Holocaust!), hält die Hand beschützend über diesen Apartheid-Staat. Überall sonst wird die Moralkeule geschwungen, und gegen jeden vergleichsweise harmlosen „Schurkenstaat“ wie Kuba, Iran oder Nordkorea, neuerdings gegen Russland, werden Sanktionen verhängt. Hat einer davon auch nur einen Zehntel so viel und so lange das geltende Völkerrecht gebrochen? Vom Bruch des Kriegs-Völkerrechts in den Gaza-Kriegen will ich gar nicht erst reden; auch er wird ungeahndet bleiben, dank dem Sperrfeuer und Veto der USA. Und wir Papageien zucken höchstens ein bisschen betreten die Schultern.

Dass dieses Moral-Urteil einseitig ausfällt, ist gerechtfertigt, als Ausgleich. Wir haben während Jahrzehnten ein erbittertes Moral-Urteil gegen die bösen Palästinenser gehört. Der Dieb hat sich bei uns über die Gegenwehr des Bestohlenen beklagt – und fand Gehör. Auch die Verkürzung auf <böse Absicht> ist gerechtfertigt. Seit Jahrzehnten hören wir ja von Israel und seinen Freunden die von Ben Gurion geprägte Kurzformel: „Palästina gehört uns ! Die Bibel ist unser Auftrag.“

h) Wie sähe es denn aus, wenn Israel eine <gute> Absicht verwirklichen würde, auch jetzt noch? Da es sich weit mehr Land genommen hat, als ihm fairerweise zusteht, können wir ja die Gegenseite fragen, was sie als fair ansehen würde: Es ist ungefähr das, was ich in meinem Buch vorschlage: eine Zwei-Staaten-Lösung basierend auf den Grenzen von 1967: also Rückgabe von Ost-Jerusalem und Westjordanien an die Palästinenser, die Golan-Höhen an Syrien, und der Gaza-Streifen wird Teil des Staates Palästina oder Ägyptens. Die Siedler stünden dann unter der Souveränität und Jurisdiktion Palästinas, dies als Konsequenz und Ausgleich für die illegale Landnahme. Ein Friedensvertrag mit diesen Inhalten hätte bei den Nachbarn gute Chancen – aber leider nicht bei Israel.

Wenn der Westen seine Doppelmoral aufgäbe, dann hätte diese faire Lösung, welche dem Völkerrecht entspricht, gute Chancen. Der Westen müsste gegen Israel nur all die Sanktionen verhängen, die er gegenüber den „Schurkenstaaten“ jeweils verhängt, und die 38 Mia. $, welche Israel in den kommenden zehn Jahren von den USA erhalten soll (Radio-Meldung 13.9.16), an diese Bedingung knüpfen und so internationales Recht durchsetzen – notfalls mit Blauhelmen gegen militante Siedler … Ein Israel in den Grenzen von 1967 könnte alle alten Feindschaften abbauen, auch die Todfeindschaften mit den Palästinensern, auch alle Ängste, und es wäre nicht mehr abhängig von Almosen aus dem Ausland, ja es wäre endlich erwachsen, wirtschaftlich und politisch unabhängig, ein geachteter statt geächteter Staat, und weniger <böse>.

i) Am 28.7.18 schrieb ich zum Nationalstaats-Gesetz vom 19.7.18 auf Facebook:
Schon mal gehört? Israel sei kein Apartheid-Staat und die einzige Demokratie im Nahen Osten. Am 19.7.18 hat die Knesset ein neues Grundgesetz verabschiedet, das Israel als <Nationalstaat des Jüdischen Volkes> definiert. – Einschub: Ich publiziere hier oft Posts, welche Israels Palästina-Politik kritisieren (nicht „die Juden“), und werde von keiner offiziellen oder inoffiziellen jüdischen Stelle angegriffen, warum? weil sie FAKTEN-BASIERT sind und stimmen. Ich halte jeden für böswillig oder einen Dummkopf, der die Unterscheidung zwischen fundierter Kritik an Israels Palästina-Politik und Antisemitismus nicht schafft! – Dieses Nationalstaats-Gesetz also gilt für das urspüngliche Israel, in dem 20% der Bevölkerung Palästinenser sind, sowie in dem seit 1967 besetzten Westjordanland samt dem annektierten Ost-Jerusalem und den syrischen Golan-Höhen. Das Gesetz bezeichnet Hebräisch als Staatssprache und das „vollständige vereinigte Jerusalem“ als Hauptstadt. Alle Juden können einwandern, und diie jüdische Besiedelung stellt einen „nationalen Wert“ dar und muss gefördert werden. Schon bisher bestehen 65 Gesetze, welche die nicht-jüdische Bevölkerung in den Bereichen Erziehung, Arbeit und Land-Nutzung systematisch diskriminiert (vgl. dazu Kap. 5 in www.israel-in-palaestina.ch: Bürger 2. und 3. Klasse). Schon 1903 war der Jüdische Nationalfonds gegründet worden, dem jetzt 80% des Landes gehören mit dem Auftrag, dieses ausschliesslich der Nutzung durch die jüdische Bevölkerung zuzuführen. Er hat Zweige in ganz Europa und geniesst in der Schweiz als gemeinnützige Organisation (!) Steuerbefreiung. Zum Nationalstaatsgesetz hatten die arabischen Abgeordneten in der Knesset einen Gegenentwurf vorgelegt, welcher einen demokratischen „Staat aller Bürger“ ohne ethnische Privilegien vorsah. Das Präsidium der Knesset stufte diese Motion jedoch als staatsfeindlich ein und brachte sie nicht zur Abstimmung. Daraus folgt, dass die Zwei-Staaten-Lösung keine Chance mehr hat, nur noch die Ein-Staaten-Lösung, eben: als Apartheid-Staat. – Warum engagiere ich mich einseitig für die Rechte der Palästinenser? Weil das meinem Gefühl für Fairness und Gerechtigkeit entspricht, als ehemaliger Richter und jetzt Scharfrichter der Palästina-Politik Israels und der US-Unterstützung dafür.
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