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24. PLO, FARC, Tupamaros, Leuchtender Pfad, IRA, ETA, PKK, RAF, Brigate Rosse, Hamas, Al-Kaïda, Taliban, Boko Haram, Islamischer Staat usw. Bewaffnete Rebellion gegen den bösen Westen oder: Was ist Terror wirklich? Und wer ist da der Terrorist? Wie wird man einer?

a) Zunächst ein bisschen Militärgeschichte:

Seit jeher gab es stehende Heere, die dem jeweiligen Fürsten zur Verfügung standen, um Angriffe abzuwehren oder den Nachbarn zu überfallen – aber auch, um Aufruhr und Aufstände niederzuschlagen: Werkzeuge der jeweiligen Macht-haber. Die Miliz-Armee der neutralen Schweiz hat sich nur einmal zur Aufruhr-Bekämpfung hinreissen lassen: 1918, anlässlich des Landes- oder General-streiks. General Wille drängte darauf, die Armee aufzubieten, um die Arbeiter in die Fabriken zurückzutreiben. Der Streik wurde schliesslich mit militärischer Gewalt beendet.

So weit, so banal. Was die heutigen Armeen tun, ist bekannt.

b) Es sei nun aber die polit-philosophische Frage erlaubt, woher sie ihr Gewaltmonopol ableiten, ihre Licence to kill, gegen das Gebot: Du sollst nicht töten.

Vom Staat. Damit rechtfertigt er sein Eingreifen und Töten, seine Angriffs-, Abschreckungs- und Einschüchterungs-Macht. Er beansprucht zudem die Definitionsmacht und erklärt jedes Töten für legitim, das den politischen Feind beseitigt. Und der Staat definiert den Feind und warum er einer ist. Wenn der Staat dabei die Schranken des Rechtsstaats beachtet, haben wir, hat der Feind Glück gehabt. Mit dieser Macht töten z.B. die USA mittels ihrer Drohnen am fernen Hindukusch in Afghanistan, also weit ausserhalb des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses, einen Taliban-Führer nach dem andern, nachdem sie ihm Greueltaten angehängt haben – ohne rechtsstaatliche Schranken: der Welt-Sheriff darf töten, auch als Christ, wann und wo er will. Die Definition, die das erlaubt, mit Billigung der abendländisch-christlichen Wertegemeinschaft, heisst Terrorismus. Vor 1990 hiess sie Kommunismus. Die Liste der als terroristisch eingestuften Organisationen ist riesig – und nützlich für alle Aufrüster, allen voran die USA

c) Einzelne Menschen, einzelne Gruppen und einzelne Völker oder Volksteile haben seit jeher ein Widerstandsrecht beansprucht, sei es aus religiösen, ethnischen, nationalen, sozialethischen oder ökologischen Gründen: Wo Recht zu Unrecht wird, da wird Widerstand zur Pflicht.

Wichtig für die Anfänge des modernen Terrorismus, also der Gewalt gegen zivile Ziele, war die Weigerung Israels, der einstimmigen Resolution 242 des UNO-Sicherheitsrates vom 22.11.67 zu gehorchen, nämlich sich aus den 1967 besetzten Gebieten des palästinensischen Westjordanlandes zurückzuziehen und das Flüchtlingsproblem (Nakbah von 1948!) gerecht zu regeln (vgl. Kap. 21-23; Rudorf, Israel in Palästina S.93). Statt nach 20 Jahren des Pochens auf ihre Rechte nun aufzugeben (Welchem Volk darf man das zumuten?) schrieb die PLO (Palestinian Liberation Organisation) am 17.7.68 in ihre Nationalcharta: Der bewaffnete Kampf ist der einzige Weg zur Befreiung Palästinas (a.a.O. S.350). Aus ihrem Widerstandsrecht leitete sie zudem die auf zivile Ziele andernorts gemünzte Doktrin ab: Wenn wir für die Staatsgründung und Staatserweiterung Israels mit der Opferung unserer Würde, unseres Heimatrechts und unseres Lebens zahlen müssen und der Westen das zulässt, dann sollt ihr im Westen dafür auch Opfer bringen und mit einigen Leben zahlen müssen. In der Folge unternahm die PLO mehrere Schiffs- und Flugzeug-Attentate sowie Morde an der israelischen Olympia-Mannschaft in München und andere – und erreichte das Gegenteil: Die westliche Öffentlichkeit wandte sich mehrheitlich, statt sich nun für die zweifellos und von Anfang an berechtigten Anliegen der Palästinenser zu interessieren und einzusetzen, entsetzt von ihnen ab, sie folgte der israelisch-amerikanischen Propaganda, die hiefür jedes neue Attentat als Terrorakt sofort instrumentalisierte. Sie log die Wirkung zur Ursache um.

Verglichen mit den weltpolitischen Grössenordnungen des Nahost-Konflikts ist das angebliche Geheimabkommen des Bundesrates mit der PLO, welches 2016 die Schweizer Gemüter erhitzte, eine Fussnote mit geringer Tragik. Der eigentliche Skandal war und ist ja nicht das Stillhalteabkommen, sondern die Weigerung Israels, die Resolution 242 zu befolgen und der PLO als Vertreterin des Palästinensischen Volkes einen Status auf Augenhöhe zuzugestehen. Mit diesem wäre es nicht zum Flugzeug-Absturz von Würenlingen u.a. gekommen.

Ich gebe zu, dass meine Empörung über den leider andauernden und anwachsenden Bruch des Völkerrechts durch Israel viel grösser ist als meine Empörung über die Attentate der Palästinenser gegen zivile Ziele ausserhalb der Nahost-Region, in Westeuropa. Denn Europa, im Propaganda-Kielwasser der USA und West-Deutschlands (Schuldgefühle nach dem Holocaust), war und ist mitschuldig an der Radikalisierung des verzweifelten palästinensischen Volkes, dem sein Land, sein Wasser und seine Würde gestohlen wurde – bekanntlich schon 1948 bis 1967. Welche Böllerschüsse hätten denn das schlafende Gewissen der Zivilgesellschaft geweckt, wenn es nicht einmal diese Attentate und die Berichte über die Intifada schafften? Flugblätter verteilen vor dem Einkaufszentrum oder der El Al (hin zu Allah) ?? Es gab welche – achtlos weggeworfen von oberflächlichen Leuten, deren Nachkommen sich jetzt über die Terroristenherde zwischen Jemen und Istanbul wundern.

d) FARC, Kolumbien: der älteste Konflikt Lateinamerikas ist beigelegt, demnächst ... Gemessen an ihren ursprünglichen Zielen haben die Rebellen kapituliert. Es ging, wie in vielen Ländern Lateinamerikas, um ein unzimperliches, blutiges Kräfteringen zwischen den Grossen und den Kleinen, den Grossgrundbesitzern und den Kleinbauern/Plantagenarbeitern. Gabriel Garcìa Màrquez beschrieb in Hundert Jahre Einsamkeit das von der US-Firma United Fruit Company in Auftrag gegebene Massaker von 1928 an den Bananenarbeitern. Während der La Violencia genannten Epoche um 1950 starben rund 500’000 Menschen, mehrheitlich Bauern. In den 60er Jahren, unter dem Einfluss der kubanischen Revolution, weiteten sich die landwirtschaftlichen Forderungen aus auf allgemein gesellschaftliche. Den Rebellen (ELN und FARC) schwebte die Machtübernahme vor. Sie verbündeten sich teilweise mit mächtigen Drogenkartellen und gründeten auch eine Partei (Uniòn Patriòtica). Deren Funktionäre und Mitglieder wurden aber von Paramilitärs systematisch liquidiert: >3’000 Tote. Obwohl sich ihre Ziele mit vielen sogenannt abendländischen Werten vergleichen lassen, zielten die USA auf den Koka-Anbau der FARC und steckten Mia. $ in den Plan Colombia, um ihr die ökonomische Basis zu entziehen. Die stets verschleppte Neuverteilung des Bodens stockt noch immer: Laut Statistik von 2011 besitzen 1% der Bodeneigentümer 52% des Landes und 70% des bewirtschafteten Bodens (A-Bulletin 13.10.16 S.4). Frieden, also Beilegung des Konflikts, bedeutet für die FARC, Vorleistungen zu erbringen, um künftig eine kleine Agrarreform und eine kleine politische Beteiligung – ja, nur zugesichert zu bekommen (NZZ 26.8.16 S.5). Mit der Entwaffnung sollte das Gewaltmonopol der Grossen über die Kleinen wiederhergestellt werden, nach über 50 Jahren Blutvergiessen. Nun hat die kolumbianische Wählerschaft in den Städten dieses Abkommen am 2.10.16 mit hauchdünner Mehrheit abgelehnt, weil die Rebellen ins Gefängnis gehören. Die Rebellen in Syrien jedoch … Präsident Juan Manuel Santos, jetzt Träger des Friedensnobelpreises (6./7.10.16), wird den Aussöhnungsvertrag, mit erneuter Hilfe Norwegens und Kubas, wohl nachverhandeln. Wenn er geschickt ist, wird es, analog zur hauchdünnen Ablehnung, hauchdünne Gefängnisstrafen für die FARC-Kommandanten geben, symbolisch für ihre Kapitulation … Wem wird sie dienen? Dem Anbau von Weltmarktprodukten (Kautschuk, Palmöl, Zuckerrohr, Kakao, Rinderzucht) und neuen Wasserkraft-, Bergbau- und industriellen Landwirtschafts-Projekten? Dann werden die sozialen Konflikte erneut aufflammen, wird eine neue FARC entstehen … Das ist anfangs 2020 nun eingetreten: Der Vorsitzende der Farc-Partei, Rodrigo Londoño, hat Kolumbiens Präsidenten Iván Duque in einem Brief aufgefordert, das Land vor dem „Abgrund zu retten, in den er es führt“. Er prangert darin die Morde an demobilisierten Ex-Guerillas und ihre Sicherheitslage an und kritisiert insgesamt die Nichteinhaltung des Friedensabkommens. Diese, die Nichteinhaltung, ist das Geheimrezept der Rechten, um eine ehemalige Guerilla-Organisation erneut in den Untergrund und den Kampf zu schicken, damit sie erneut liquidiert werden kann und die Rechte zu ihrem „Recht“ kommt, siehe oben.   

e) Die Tupamaros in Uruguay erreichten ebenfalls das Gegenteil ihres Kampfziels. Als Stadtguerilla 1963 gegründet, wollten sie einen sozialistischen Staat aufbauen, wurden von der Militärdiktatur ins Gefängnis gesteckt und wandelten sich 1985 in eine legale politische Partei, die mit Pepe Mujica, wie schon 1970 Salvador Allende in Chile, den Prototyp eines gütigen Sozialisten als Staatspräsident hervorbrachte (2010-15):

2010: „Tupamaro zu sein, ist mehr ein Gefühl als eine politische Definition“, sagt Pepe Mujíca, Gründungsmitglied der populärsten Stadtguerilla Lateinamerikas und heutiger Parlamentsabgeordneter. Tupamaros erzählt von diesem Gefühl. Mit Selbstironie, Humor und einer ganz eigenen Weisheit beschreiben die Protagonisten – Pepe Mujíca, Lucía Topolansky, Eleuterio Fernandez Huidobro und Graciela Jorge – die Geschichte der MLN/Tupamaros: Von der Gründung 1963 über die Erfolge der ersten Jahre, die Zerschlagung, die langen Jahre in den Gefängnissen der Militärdiktatur, den Neuaufbau als legaler politischer Partei.“

War es legitim, zu vordergründig kriminellen Mitteln zu greifen, um einen Staat umzukrempeln? Heiligt der Zweck die Mittel? Nein. Aber die Inhaber des Gewaltmonopols dürfen sich auf den Grundsatz, dass ausschliesslich gewaltfreier Widerstand erlaubt sei, nur dann berufen, wenn sie diesem zuhören, sich von ihm berühren (!) lassen und ihn in ihre Politik integrieren. Inhaber des Gewaltmonopols, welche mit ihrer Machtausübung elementare Menschenrechte verletzen oder deren Missachtung schützen, dürfen meines Erachtens den Widerstand der Verletzten nicht als kriminell bekämpfen. Sie werden ihn ohnehin bekämpfen, wie die Geschichte lehrt; aber die Begründung, er sei kriminell, ist es selber. Kurz gesagt: Widerstand gegen ein kriminelles Regime ist nicht kriminell, auch bewaffneter nicht – wenn die Widerständigen Inländer sind (beides trifft auf Syrien nicht zu). Das Regime, gegen das die Tupamaros antraten, war kriminell, ausgebildet vom US-Office of Public Safety und dem CIA-Agenten Mitrione, den sie dann entführten und verhörten. Er hatte zur gewaltsamen Niederschlagung von Arbeitsunruhen geraten …

Ich schreibe diese schwierigen Zeilen auch im Kontext des Ukraine- und Syrien-Kriegs (vgl. Kap. 2 und 41). Dabei weiss ich, dass sich die Inhaber des Gewaltmonopols nicht um subtile juristische Definitionen kümmern. Wir können froh sein, wenn das die Tribunale in Den Haag übernehmen … Mit José Mujica kam auch sein ab dem 1. März 2010 amtierender Nachfolger (eine direkte Wiederwahl Vázquez‘ war nach der Verfassung nicht erlaubt) aus den Reihen der Frente Amplio. Seit dem 1. März 2015 ist Vázquez wieder Präsident.

f) Der Sendero Luminoso oder Leuchtender Pfad in Peru entstand als Kampf gegen struktur-bedingte Armut und für die Öffnung des rassistischen Bildungssystems, mit der Kulturrevolution in China als Vorbild. Sein politisches Ziel war von Anfang an der völlige Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung durch einen Volkskrieg. Damit forderte er das Machtgefüge in Lateinamerika heraus, das von US-Beratern unterstützt wurde – und er verlor.

Für das Anliegen dieser Essays, den Weg zu einer zweiten Chance für den Sozialismus zu ebnen, ist der Leuchtende Pfad das Gegenteil eines Vorbilds.

g) Die IRA und die ETA sind regionale Widerstandsbewegungen, welche sich, grob gesagt, auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen und ihr Ziel mit bewaffnetem Widerstand erreichen wollten und wollen.

Es ist in der Tat nicht einzusehen, weshalb sich der katholische Teil der Nordiren nicht mit dem katholischen Irland verbinden darf, jedenfalls die County Derry und County Tyrone, sondern sich von den protestantischen Adligen und der Queen demütigen lassen muss, wie früher von Pfarrer Ian Paisley und alljährlich beim Marsch des Oranier-Ordens.

Und es ist nicht einzusehen, weshalb die Basken die ihnen seit 1979 zustehenden Autonomie-Befugnisse nicht endlich erhalten sollen. Dort geht es nicht um Religion, sondern um eine eigene Sprache und Kultur, mit Verboten unterdrückt. Was macht der spanischen Regierung endlich Beine, wenn es die ETA nicht geschafft hat?

Und schon gar nicht einzusehen ist, weshalb die Türkei, welche Mitglied der NATO ist und in die EU will, den Kurden das Selbstbestimmungsrecht der Völker verweigert und dessen Verfechter, die PKK, sogar auf die Terrorliste setzt und militärisch brutal bekämpft. Ich kann mich nicht über deren Terror empören, der sich gegen eine lange und harte Kolonialisierung (es geht um eine eigene Kultur und Sprache, aber auch um Wasserkraft und Staudämme) wehrt, nur über den türkischen Präsidenten Erdogan – und den blöden Böhmermann, der ihn verniedlicht. Seit dem Putsch-Versuch von Mitte Juli 2016 und seit seiner beispiellosen Hetzjagd gegen wirkliche oder vermeintliche Kritiker (er stiehlt z.B. 3’000 Richtern deren Privatbesitz) richtet sich unsere grosse Empörung gegen ihn, nicht mehr gegen die Kurden, die sich von seiner Fuchtel befreien wollen (vgl. Kap. 41 zu Syrien).

h) Die Rote Armee Fraktion, in ihrem Selbstverständnis eine antiimperialistische Stadtguerilla ähnlich den Tupamaros in Uruguay, wurde 1970 von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Mahler und weiteren Personen gegründet. Dem war in der 68er Jugend- und Studentenbewegung der Protest gegen den Vietnamkrieg vorausgegangen, gefolgt von der Desillusionierung über Gespräche mit den Mächtigen (Ulrike Meinhof, konkret-Journalistin), Strategie-Diskussionen über Gewalt gegen Sachen statt FlowerPower, Empörung über die Attentate von rechts auf Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke. Die RAF wollte Staat, Wirtschaft und Gesellschaft durch Terroranschläge erschüttern. Sie orientierte sich dabei an Konzepten der südamerikanischen Stadtguerilla, entwickelt für den Kampf gegen Militärdiktaturen. Als Reaktion auf den Terror der RAF sollte sich der Staat in einen Polizeistaat verwandeln, was wiederum den Boden hätte bereiten sollen für die Machtübernahme durch das Proletariat. Dieses wiederum, das einfache Volk der BRD, wandte sich entsetzt ab von diesen Mördern und Attentätern. Deren Ende ist bekannt. 

Den Brigate Rosse in Italien, auch sie aus Protesten u.a. gegen den Vietnamkrieg hervorgegangen, gelang die Verbindung mit den Protesten der Arbeiterschaft. Mit dem Autunno caldo von 1969 erkämpften die Gewerkschaften mit flächendeckenden Streiks erhebliche Lohnerhöhungen: 18,3% 1970, 9,8% 1971 und 9% 1972. Wichtig für den Gang in den bewaffneten Untergrund war die für 16 Menschen tödliche Bombenexplosion am 12.12.69 in Mailand , welche von rechts verübt und den Linken untergeschoben wurde (Ganser, NATO-Geheimarmeen S. 27f, 192, 195), eine von vielen (S.384). Im Spätsommer 1970 erfolgte der Übergang zum bewaffneten Kampf: Heute wissen wir, dass man den bewaffneten Herren nicht unbewaffnet begegnen kann. Seit den wissenschaftlich exakten Recherchen von Daniele Ganser wissen wir, dass sich die (nicht-staatlichen!) Kalten Krieger gegen den Kommunismus vor den BR bewaffnet hatten (a.a.O. S.111). Den Kampf aus dem Untergrund (z.B. Mord an Aldo Moro) haben die BR ebenfalls verloren.
Seit 2008 bemühen sich Moro’s Tochter und einige aus langer Haft entlassene Ex-Brigadisten in einer aufwendigen Mediation um Versöhnung (www.mpicc.de 10.1.17). 

Von der RAF und den BR können wir lernen, dass

  • Terror von links nie ohne Vorgeschichte entsteht, für welche die Rechte verantwortlich ist,
  • die Methode Gandhi gewinnen kann gegen eine morsche Kolonialmacht, aber gegen festgefügte Oligarchien die Methode Mao aussichtsreicher erscheint,
  • solcher Terror stets das Gegenteil seiner Absicht erreicht,
  • der Ohnmächtige sich nie mit dem Mächtigen anlegen soll,
  • es deshalb für einen zweiten Anlauf des Sozialismus eine ganz andere Strategie braucht (vgl. Kap. 50).

i) Die Hamas im Gaza-Streifen südwestlich von Israel ist viel älter und viel besser als ihr Ruf. Wer sie als offensichtlich terroristische Organisation einstuft, der/die übersieht ihre Vorgeschichte und ihre Notlage als Vertreterin der dort ansässigen palästinensischen Bevölkerung.

An was die wenigsten denken: Diese Bevölkerung von nunmehr etwa zwei Mio. hat mit Israel schreckliche Erfahrungen gemacht. 2/3 davon sind Enkel der Flüchtlinge, welche 1948 durch die Irgun- und Haganah-Truppen aus den alten palästinensischen Küstenstädten buchstäblich ins Meer gestossen wurden und Zuflucht im Gaza-Streifen fanden – für einige Tage oder Wochen, wie sie meinten. Sie hatten z.B. in Haifa oder Jaffa gelebt und wurden brutal und mörderisch vertrieben (Rudorf a.a.O. S.71ff); sie nennen das ihre Nakbah (Katastrophe): mindestens 800’000 mussten flüchten. Das alles ist belegbar seit der Öffnung der Militärarchive Israels um 1998 (S.69), wird aber offiziell immer noch geleugnet – eine weitere brutale Demütigung. Die Enkel dieser Vertriebenen leben also im Gaza-Streifen und wählen die Hamas als ihre Regierung. Deren Programm sah, was bei diesem Schicksal nachvollziehbar erscheint, den bewaffneten Kampf gegen Israel vor, ausser wenn Israel zu einem fairen Frieden Hand biete – eine Illusion. Diese wurde übrigens kürzlich wieder einmal zelebriert nach dem Tod des ehemaligen Staatspräsidenten Shimon Peres. Sein Nachfolger Rivlin nannte ihn einen grossen Visionär, der für Frieden mit seinen Nachbarn gekämpft habe. Er verschwieg, und das hatte in allen Nachrufen Methode, dass Peres gleichzeitig die Besiedelung von Rest-Palästina vorantrieb, was den Frieden mit seinen nächsten Nachbarn verhinderte, bis heute. Frieden predigen und gleichzeitig Land, Wasser und Würde stehlen, wie geht das zusammen?

In meinem 2010 erschienenen Buch <Israel in Palästina – Wegweiser zur Lösung> habe ich den Unterschied herausgearbeitet zwischen legitimem Widerstand und illegitimem Terror (S.231ff): die Hamas leistet legitimen Widerstand gegen die mörderische Abschnürung ihres Lebensraums durch Israel, und ich komme dort und immer noch zum Schluss: Shake hands with Hamas! Und ich bin froh, dass die Schweiz die Hamas nicht als terroristische Organisation einstuft. – Der angesehene Linguist und oppositionelle Polit-Schriftsteller Noam Chomsky nennt nicht die Hamas-Regierung, sondern Israel einen Schurkenstaat, auch die USA – und dies mit guten Gründen, bevor das Video gelöscht wurde. Ich schliesse mich seiner Einschätzung an, die Löschung beweist sie. Zum Glück gibt es das Interview schriftlich.

k) Seit Jahren sollen wir Angst haben vor den sog. Islamistischen Terror-Organisationen Al-Kaïda, ISIS, Taliban, Boko Haram und Al-Shabaab. Aber unsere falsche Politik in Nahost und Afrika treibt viel mehr Menschen in die Flucht und ins Ertrinken, der Strassenverkehr fordert viel mehr Opfer. Wer hat Angst, ein Auto zu besteigen? Die genannten Gruppen sind vergleichsweise harmlos. Angesichts des LKW-Attentats in Nizza am 14.7.16 mit 84 Toten und noch mehr Verletzten wird die Panik erneut geschürt. Wieviele Opfer hat der Frontal-Crash zweier Züge in Bari gefordert? Eben. Wem nützt diese Panik? Der Staat kann einige Staats-Zweifler mehr um sich scharen …

Für die Taliban in Afghanistan, so unsympathisch mir ihre Ausrichtung auch ist, gilt ähnliches wie für die Hamas: Sie leisten legitimen Widerstand in ihrer Heimat gegen die NATO als Aggressor und deren Marionetten-Regierung. Ihr Ruf im Westen ist allerdings leicht anders, mindestens seit <9/11> (vgl. Kap. 35) Ihr Widerstand gegen Kabul zeitigt schreckliche Opfer unter der Zivilbevölkerung, dies aber im Inland. Was geht das die USA an? Die NATO hatte 2001 sicherlich andere Motive für ihr Eingreifen als die Menschenrechtslage. Ich hatte schon vor 2001 in bild der wissenschaft gelesen, dass dort das zweitgrösste Kupfervorkommen der Welt liegt. Nun hat sich meine Vermutung bestätigt: Kupfer, Lithium, Eisen, Gold – und die US-Militärs kamen ins Schwärmen, jedenfalls 2010 – ausgerechnet die? Dass die Taliban diese Schmarotzer aus dem Land werfen wollen, kann ich nachvollziehen – sogar dass ihnen dazu jedes Mittel recht ist, jedenfalls im Inland. Die Chinesen sind ohnehin näher dran … Warum sind US-Streitkräfte dort, seit 2001? Und deutsche Truppen, obwohl das Grundgesetz Ausland-Einsätze verbietet? Die Mainstream-Presse hat uns verschwiegen, dass es von Anfang an um Rohstoffe ging. Nun, im Jahr 2020, ziehen diese ausländischen Truppen ab – war auch Zeit! Sollen die Afghanen ihre Händel (um Rohstoffe) unter sich ausbaden.

Auch bei Boko Haram in Nigeria sehen wir, dass die Gruppe jahrelang friedlich agierte und sich erst radikalisierte, als der korrupte Staat gegen Armut und Arbeitslosigkeit nichts unternahm und die Polizei am 11.6.09 in eine Beerdigungsprozession feuerte. Die Rache für 17 Tote eskalierte, ihr Anführer Yusuf wurde aussergerichtlich hingerichtet, seine Leiche öffentlich zur Schau gestellt. Werden die nigerianischen Machthaber, welche die Eskalation zu verantworten haben, nun auf das Angebot eingehen, die 218 vor zwei Jahren entführten Schulmädchen freizulassen im Austausch mit inhaftierten Kämpfern (SDA in 20Min. 15.8.16 S.12)? Das IKRK vermittelt, 21 Mädchen sind frei – von der Gegenleistung erfahren wir natürlich nichts (SDA 14.10.16), nur von den neuen Terror-Taten.

Und bei Al-Shabaab begegnen wir wieder dem Feindbild des bösen Westens, nicht ohne Grund: Was hat die ständige Einmischerei der Kolonialmächte Italien und Grossbritannien sowie der USA den Somaliern gebracht? Interesse an ihrem Öl und Militärbasen – etwas wenig für nach dem Islam dürstende Menschen, dem Opium für ihre trostlose Abhängigkeit von uns. Hätten wir sie in Ruhe gelassen wie sie zuvor uns, dann gäbe es Al-Shabaab nicht. Al-Shabaab heißt übersetzt „die Jugend“. Tatsächlich soll die Miliz aus einer Jugendbewegung der „Union islamischer Gerichte“ hervorgegangen sein, die 2006 kurzzeitig die Kontrolle über Teile Somalias übernommen hatte. Sie will eine strenge Auslegung des islamischen Scharia-Rechts durchsetzen und einen islamischen Staat am Horn von Afrika errichten. Was geht uns das an? Also: in Ruhe lassen! Die USA machen jedoch das Gegenteil, zynisch wie sie nun mal sind: Ihr jüngster Luftangriff (vier tote Kämpfer) sei Selbstverteidigung gewesen (SDA in 20Min. 10.12.18 S.4). Was verteidigen die USA in Somalia? Eben.

Gäbe es Al-Kaïda, wenn seine Protagonisten nach der Wende von 1990 die westliche Politik und Wirtschaft nicht derart dominant und nach der Weltherrschaft greifend erlebt hätten? Gäbe es Al-Kaïda als arabische Gründung ohne die Doppelmoral des Westens im Nahost-Konflikt (die Rechte der Palästinenser verraten und den Rechtsbrecher Israel hätscheln) ? Gäbe es Al-Kaïda, wenn sich Israel wie von der UNO verlangt auf die Grenzen von 1967 zurückgezogen und die Gründung eines Staates Palästina gefördert hätte? Gäbe es Al-Kaïda, wenn sich die USA und andere Westmächte nicht dauernd und massiv in die Politik des Nahen Ostens eingemischt hätten? Gäbe es Al-Kaïda, wenn in der Zeit von 1967 bis heute in Sachen Palästina das Völkerrecht angewendet worden wäre, politische Vernunft und Mässigung, also eigentlich jüdische Ethik (Nathan der Weise) und Intelligenz? Ich bin überzeugt: Meine Fragen würden von den meisten Völkern verneint, ausser von den USA, Deutschland und Israel – während Frankreich und Grossbritannien sich tapfer enthalten würden! Diese fünf Nationen haben ihre gierige Macho-Haltung durchgedrückt, die in weiten Teilen der muslimischen Welt schlicht als böse wahrgenommen wurde, und empören sich jetzt über die Folgen. Hand aufs Herz, soweit vorhanden: Denkt ihr wirklich, euer Anteil am Auftauchen von Al-Kaïda sei Null ?? und wenn er nicht Null ist, welche Konsequenz ist zu ziehen? warum zögert ihr jetzt? Eben: das Auftauchen von Al-Kaïda hat euch genützt – sicher der Aufrüstungs-Industrie, die euch manipuliert. Wir können das jeweils live verfolgen, wenn ihr eure sog. Sicherheitskonferenzen in München oder das WEF in Davos zelebriert, eigentlich private (!) Anlässe – also dem Gesetz der Gewinn-Maximierung hörig, nicht dem Völkerrecht.

Die Sache mit dem Islamischen Staat in Irak und Syrien, neuerdings auch in Libyen, ist anders gelagert: Al-Kaïda ist ein virtuelles Netzwerk ohne Gebietsanspruch, während der IS mit seinem religiösen Fundament eine Fläche beanspruchte, eroberte und besiedelte, wie es 1948 Israel und 1776 die USA taten. Schockiert über diesen Vergleich? Denk’ nach: Die USA vertrieben die Indianer und Israel die Palästinenser (Nakba, vgl. oben c), während der IS die ansässige Bevölkerung nicht vertreibt, sondern vereinnahmt, auf bisweilen grausame Art. Was war und ist nun grausamer? Die Indianer-Kriege, die Nakba oder der IS? Ich verstehe, wenn du diese Gleichsetzung nicht erträgst; aber versteh’ mich auch: sie ist ziemlich objektiv, und dein Schock ist nicht mein Problem, sondern deins und eine gute Chance, dich zum Ex-Papagei zu mausern. Israel bestraft sogar Institutionen, die an jene Vertreibung erinnern, und leugnet sie bis heute, sie darf in den Schulbüchern nicht vorkommen. Kannst du dir vorstellen, wie das auf Moslems und/oder potentielle Dschihadisten wirkt? Ich schon. Um einem häufigen Denkfehler vorzubeugen: sich-vorstellen-können ist nicht billigen und schon gar nicht ent-schuldigen, sondern wissenschaftlich auf mögliche Zusammenhänge hinweisen, die im Mainstream untergehen. Ich stelle die gleichen Fragen wie oben zu Al-Kaïda und bedaure zutiefst, dass die Geschichte in Nahost diese schreckliche Wende nimmt, ohne Völkerrecht, politische Vernunft und staatsmännische Intelligenz (vgl. Kap. 41 zu Syrien). Hätte es den Islamischen Staat gegeben, wenn sich der Westen aus der Nahost-Region heraushalten würde, statt moderne Kreuzzüge durchzuführen? für Öl und Gas? Kaum! Dass der IS zeitweise auch ein Verbündeter der USA war, sei nur am Rande erwähnt: Sein Pendant in Syrien, die Al-Nusra-Front gegen Assad, wurde anfänglich von den USA trainiert und ausgerüstet, als willkommener Kumpel mit gleichem Ziel: Assad muss weg!

Im Schatten des IS hat sich die Jabhat al-Nusra als eine der dominierenden Kräfte innerhalb des gesamten bewaffneten Widerstandes gegen das Assad-Regime durchgesetzt. Erst jetzt, unter dem Eindruck russischer Bomben, distanzieren sich die USA von dieser Front. Hauptsache: Waffen verkauft! und die Definitionsmacht verteidigt, was Terrorismus ist … und wie man einer wird!

Der IS verdankte seine Anziehung einer einfachen Idee: die Nationalstaaten abschaffen mit ihren verrückten Grenzen, welche von westlichen Imperialisten zu ihren eigennützigen Zwecken gezogen wurden, und den pan-muslimischen Staat wieder herstellen, das Kalifat (Uri Avneri, ehem. Knesset-Abgeordneter, A-Bulletin 9.10.14 S.8). – Um dem naheliegenden Missverständnis vorzubeugen, dass ich die Anschläge in Paris und Nizza etc. billige: Als Wissenschafter habe ich nicht zu billigen oder zu verurteilen, sondern auf die Zusammenhänge aufmerksam zu machen, auf Ursache und Wirkung. Ist der Anteil der französischen Politik im Maghreb samt Arabischer Halbinsel auf das Heranwachsen des IS gleich Null ?? Wenn Nein, warum wirfst du deine Steine nur auf die Dschihadisten? – Natürlich weiss ich, dass wir das Rad nicht zurückdrehen können auf die Zeit vor dem unseligen Kolonialismus. Aber was wir können, das ist: De-Globalisierung, Aufhören mit der Einmischerei!

l) Das führt zurück zum Inhaber des Gewaltmonopols: Es wird beansprucht, und zwar uneingeschränkt, vom Staat. Ich bin für eine Einschränkung: Das Gewaltmonopol darf nur ein Staat beanspruchen, der es nicht missbraucht, der sich also selber an die Gesetze und an die Verhältnismässigkeit hält, ans Völkerrecht und an allgemeine Rechtsgrundsätze wie Achtung der Menschenrechte, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und Angriffsverbot. Solche Grundsätze sind im Nahen Osten, in Lateinamerika, Afrika und Südostasien massiv missachtet worden, seit Jahrzehnten, von den Mächten, die deshalb von den Betroffenen imperialistische Mächte genannt wurden und werden. Diese Mächte haben Staatsterror begangen und verfolgten diejenigen als Terroristen, welche von ihrem legitimen Widerstandsrecht Gebrauch machten und sich auflehnten (wie Sophie Scholl +1943). Als eklatantes Beispiel nenne ich immer wieder Israel, weil ich dort bis in die Wurzeln recherchiert habe. Die UNO hat Israel nach dessen Anfangs-Eroberungen und -Vertreibungen am 11.5.49 nur unter der Bedingung als Mitglied aufgenommen, dass es sich auf die Grenzen des UNO-Teilungsplans zurückziehe und die Rückkehr der Flüchtlinge ermögliche (S.60 meines Buchs). Israel hat sich geweigert und das Gegenteil gemacht. Die Staatsgründung und Staatserweiterung ist hernach gesäumt von zahllosen Rechtsbrüchen bis zum heutigen Tag (v.a. Besiedelung des 1967 eroberten Gebiets). Gegen diesen eklatanten Gewalt-Missbrauch soll Widerstand verboten sein? soll als Terrorismus eingestuft werden? Nicht einmal eine 3. Intifada würde diesen Namen verdienen. Hat Israel den Langmut der Abbas-Behörde belohnt? Nein, die illegale Besiedelung geht ungehindert und intensiviert weiter, der Langmut wird ausgenutzt statt belohnt. Wenn du als Palästinenser geboren wärst, in Hebron oder Gaza, was würdest du tun? Würdest du frohen Gemüts das Gewaltmonopol Israels bejahen und respektieren?? Abbas tut das, gekauft und entlöhnt von der EU. Wie lange noch?

Und so verhält es sich an zahllosen Orten dieser von weissen, christlichen und jüdischen Krawattenträgern beherrschten Welt.

Das Gewaltmonopol der Staatsmacht wurde auch massiv geritzt von Kräften, die dieser nahestanden. Seit den gründlichen Recherchen von Daniele Ganser (NATO-Geheimarmeen in Europa, orell füssli 2008) wissen wir, wie hohe Vertreter von Politik und Militär während des Kalten Krieges Terrorakte begingen und sie linken Gruppen in die Schuhe schoben. Auch heute werden Terrorakte instrumentalisiert, um der Bevölkerung Angst und Schrecken einzujagen und sie dichter um die Regierungen zu scharen. Den Mord am uniformierten Soldaten Lee Rigby am 22.5.13 in London nannte Premier Cameron einen Angriff auf Grossbritannien (20Min. 24.5.13 S.2). Und dem Military Industrial Complex kommen solche Terrorakte gelegen, der US-Aktien-Index Arca Defense hat sich in den letzten 15 Jahren verdreifacht (20Min. 26.11.15 S.17); London investiert bis 2020: ja, 55 Mia. Euro in seine Aufrüstung inklusive Atomwaffen-bestückte U-Boote. Ob künftiger Schrott oder künftiger Kriegs-Hammer: der Zweck ist nur, Russland ein weiteres Mal totzurüsten, wie zu Zeiten von US-Präsident Ronald Reagan (vgl. Kap. 26).

Am Anfang jeder Radikalisierung der Ohnmächtigen stehen Radikalisierungen der Mächtigen. Das uneingeschränkte Gewaltmonopol ist eine davon.

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