43. Flüchtlings- und Asylanten-Tsunami? Wenn wir ärmer werden (als sie), kommen keine mehr. Daraus folgt: Wenn wir Schweizer wirklich weniger Asylbewerber wollen, überhaupt weniger bildungsferne Einwanderer, dann müssen wir unseren Lebensstandard massiv senken und den ihren anheben. Das wäre sogar christlich.
Auch diese Überschrift ist eigentlich selbsterklärend. Dennoch stosse ich auf Kopfschütteln, wenn ich diese These vertrete.
a) Was würden die Herren Blocher und Köppel tun, wenn sie in der Sahelzone leben würden, ich meine: als dort Geborene und Einheimische? Und sie würden sich abrackern und kämen auf keinen grünen Zweig, könnten sich und ihre Familie kaum ernähren. Dann würden sie im Fernseher des Dorfoberen immer wieder Reportagen aus Europa sehen, auch Bilder aus der Schweiz, wo Milch und Honig fliesst, und ihre Umgebung würde sie drängen, dorthin auszuwandern, ein besseres Leben zu beginnen und Geld heimzuschicken.
Auch die Herren Blocher und Köppel würden einen Weg suchen und finden, in die Schweiz zu gelangen. Schon immer haben die Menschen ihre Situation verbessern wollen, auch durch Migration – eine Binsenwahrheit.
b) Nun meinen aber die genannten Herren, solche Menschen, die sich zur Migration entschlossen haben, sollten diese Absicht nicht in die Tat umsetzen, sondern bleiben oder anderswohin gehen. Deshalb haben wir unsere Grenzen fast dicht gemacht. Die Schengen-Staaten bilden die Festung Europa. Ich hörte schon Leute sagen, die Italiener sollten doch endlich aufhören, Bootsflüchtlinge aus dem Meer zu fischen … Und ein Gemeindepräsident sprach vom Asylanten-Tsunami, als er sich gegen ein Bundes-Asylzentrum wehrte – zustimmendes Grölen im Saal. Ein anderer weigert sich erfolgreich, irgendwelche Fremden in seine reiche Gemeinde Oberwil-Lieli aufzunehmen. Ihn reut sogar der Ablass dafür. Dieser stinkreiche Andreas Glarner lässt sich – mit welchem Leistungsausweis? – Asyl-Experte nennen; besser wäre un-christlicher Ein-Igelungs-Experte. Ein Dritter warnt davor, dass seine arme Gemeinde Rekingen ruiniert würde, wenn anerkannte Flüchtlinge dort wohnhaft würden, als Sozialhilfeempfänger mit vielen Kindern. Und in Seelisberg fühlt sich Irene Zwyssig in ihrer Würde verletzt, wenn die zuständige Regierungsrätin über ein geplantes Asylheim informieren will. In Chiasso/TI schliesslich werden Hunderte Flüchtlinge aus Eritrea gar nicht erst ins Land gelassen, obwohl sie nicht bleiben, sondern nach Nordeuropa weiterreisen wollen; sie campieren jetzt in Como/It. Dabei wäre es so einfach, sie in einen plombierten Zug zu setzen und von Chiasso nach Singen/D zu verfrachten. Dort herrscht ja Willkommens-Kultur …
c) Das kapitalistische Polit-System, in dem wir leben, war schon immer gewieft in Pflästerli-Politik. Wenn sich ein grundsätzlicher Mangel auftut, sind wir findig darin, Massnahmen zu praktizieren, welche diesen zudecken. Unsere, nein die europäische Asyl-Politik strotzt von solchen Pflästerli. Wie oft haben wir unser Asylgesetz schon verschärft? Und trotzdem kommen sie, diese „überflüssigen“ Menschen, Männer mit Frau und vielen Kindern, und belasten unser Sozialwesen …
Was ist denn der grundsätzliche Mangel? Aha: Wir sind zu reich und die dort zu arm. So einfach ist das – auch das. Und wir haben viel Frieden und die dort viel Krieg und Repression – weil ihre Herren die Untertanen daran hindern, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen, und weil wir mit jenen Herren Geschäfte machen und deshalb reicher sind als sie … So einfach ist das, ja.
d) Ich weiss, das ist wieder so undifferenziert (vgl. Kap. 5)! Aber ich behaupte und kann es auch belegen, dass diese Zusammenhänge in den vergangenen Jahrzehnten auf sehr viele Regionen in den Ländern des Südens passen und sehr viele Migrations-Ströme erklären. Die nicht gerade naiven Hilfswerke werden mir recht geben.
Wenn wir in Europa den grundsätzlichen Mangel beheben, die Schere zwischen den reichen und den armen Nationen schliessen wollen, jedenfalls in der Tendenz, was ja auch ein christliches Gebot wäre, dann hätte das Einfluss auf die Migrations-Ströme. Wenn also die genannten Herren wirklich weniger bildungsferne und/oder muslimische Einwanderer wollen (die gebildeten Christen aus den USA und Deutschland stören uns ja nicht, höchstens als Konkurrenten), dann müssten sie alles daran setzen, dass die Reichtums-Schere zwischen Mittel-Europa und dem südlichen Rest der Welt sich schliesst statt sich weiter öffnet. Entwicklungshilfe? Deren Experten versichern glaubhaft, dass die wirkliche Hilfe nicht darin besteht, mehr zu geben, sondern weniger zu nehmen, auch z.B. bei unserem industriellen Fischfang vor Westafrikas Küsten, sonst sehen wir die verarmten Fischer in Como oder Calais wieder (SDA in 20Min. 25.10.16 S.10). Mit jedem investierten Franken fliessen zwei zurück. Viele Länder des Südens kommen deshalb kaum je aus ihrer Armut, weil der Schuldendienst sie erdrückt, also weil sie uns Zinsen zahlen müssen für unsere Hilfe. Demnach kann die Lösung nur sein, Investitionen zu schenken – wie das die Sowjetunion und China zu Zeiten der Blockfreien taten und Kuba das heute noch tut.
e) Die Schweizerische Volkspartei betreibt aber das genaue Gegenteil: Sie möchte die Strukturen, welche uns reich gemacht haben, beibehalten und weiter ausbauen, allen voran das Bankgeheimnis, also unser Hehler-System, und sich drücken um die europäischen Ausgleichs-Zahlungen. Sie ist auch für den Abbau der staatlichen Umverteilungs- und Kontroll-Mechanismen und der öffentlichen Fürsorge. Ihr Partei-Programm zielt also darauf ab, die reiche Schweiz noch reicher zu machen, also den Honigtopf noch mehr zu füllen und süsse Lockstoffe zu verströmen. Ihre Politik ist folglich direkt verantwortlich dafür, dass noch mehr Wirtschaftsflüchtlinge kommen. Sie lockt das „Asylantenpack“ an, will es aber draussen halten. Damit betreibt sie sehr direkt anti-christliche Politik, hat aber in ihren Reihen haufenweise evangelikale Mitglieder.
Heuchlerischer und perverser geht nicht mehr! Und wie wenn sie sich dessen bewusst wäre, versucht die SVP alles, um den Zusammenhang zwischen dem Reichtum der Schweiz und dem Sog, den dieser auslöst, zu verschleiern.
Eigentlich arbeitet sie gegen die Kreuze in der Kirche, nicht gegen die Minarette.
f) Und die Schweizer Linken? Sie verlieren an Stimmen, die Wählerschaft insgesamt rückt nach rechts, auch unter dem Eindruck der jüngsten Terror-Attacken und Amok-Läufe (20Min. 4.8.16 S.3). Die Wählerschaft erhofft sich mehr Sicherheit von rechts, durch Aufrüsten der Armee und Polizei. Frankreich, früher vom Schwächling Hollande regiert (vgl. Kap. 49 f), erträumte sich mehr Sicherheit von einer fast 100’000 Mann starken Nationalgarde. Trotzdem, die Linke wird die nächsten Wahlen wieder verlieren, sie schwächelt, ihre Rezepte taugen nichts, die Willkommens-Kultur kommt nicht an. Die Klima-Bewegung hat die Grünen gestärkt, aber nicht die Kräfte, welche die Honigtopf-Verwalter entmachten und einen Regime-Change anstreben.
Eine starke, selbstbewusste Linke würde sich das alles nicht gefallen lassen. Sie würde nicht müde werden zu wiederholen, dass der grundsätzliche Mangel, die Schere zwischen den reichen und den arm gebliebenen Regionen, die Folge der verfehlten bürgerlichen Politik ist, welche wie die SVP die Schere öffnet statt schliesst, seit Jahrzehnten. Eine starke Linke würde auf die Hinterbeine stehen und der bürgerlichen Wählerschaft vorhalten, gefälligst zuerst die Schere zu schliessen, bevor sie den Aufrüstungs- und Überwachungsstaat perfektioniert. Sie könnte dazu die kirchlichen Kreise einspannen, vom Papst bis zum kleinsten Dorfpfarrer, um die christlichen Heuchler aufzufordern, im Süden weniger zu nehmen statt mehr zu spenden, und sich von ihrer unseligen Einmischerei der vergangenen Jahrzehnte, ökonomisch, propagandistisch und militärisch, zu distanzieren. Das ist richtig verstandene Internationale Solidarität.
Eine derart starke Linke, welche sich das von den Bürgerlichen geschaffene Problem nicht zu ihrem eigenen macht, sondern deren Verantwortung klar benennt, hätte wieder mehr Zulauf. Denn die geneigte Wählerschaft weiss klares politisches Denken durchaus zu schätzen.