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34. Nord-Korea hat daraus seine Lektion gelernt: Nur Abschreckung hilft!

a) Im westlichen Diskurs um Nord-Korea höre ich oft – nein: ausschliesslich, dass es skandalös sei und typisch kommunistisch, Atombomben zu bauen, während das Volk hungere. Zudem sei der Jung-Diktator Kim Jong-Un ein lächerlicher, dicker Zwerg ohne jede Legitimation, der sein Volk in Abschottung halte und es zu Personenkult zwinge.

Nord-Korea ist immerhin nicht derart abgeschottet, dass seine Führungsgremien nicht erfahren, wie der Westen mit den missliebigen Regimes dieser Welt verfährt: mit Kuba, Panama, Nicaragua, Venezuela, Serbien, Iran, Pakistan, Somalia, Jemen, Afghanistan, Irak (2x), Libyen, Syrien, Mali, Ukraine. In all diesen Ländern hat sich der Westen eingemischt, meist militärisch, meist völkerrechtswidrig, meist mit 100’000 und mehr Toten, meist mit der Methode der Sanktionen und des Regime-Change, meist mit riesigen Zerstörungen und verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung, meist ohne sich um den Wiederaufbau zu kümmern – ohne Scham und ohne Entschädigung.

b) Nord-Korea kann es sich dank einer flachen Einkommens-Verteilung leisten, in die militärische Abschreckung so viel zu investieren, dass die USA es nicht wagen, auch dieses Land anzugreifen. Hawaii ist zu nahe, zu verwundbar.

Also versuchen sie es andersrum, z.B. mit Sanktionen oder Diffamierung. Ein schönes Beispiel passierte anfangs 2015. Sony Pictures verfiel auf die humorvolle Idee, einen Film über ein Mord-Komplott gegen Kim Jong-Un zu drehen. Eine anonyme Gruppe mit dem humorlosen Namen Peace-Watchers drohte Sony via Hacking mit Attentaten, falls sie den Film nicht zurückziehe. Die Obama-Administration vermutete sofort Nord-Korea als Urheber. Dieses bestritt, mit der Sache etwas zu tun zu haben, und anerbot den USA, diese mit einer paritätischen Kommission zu untersuchen. Diese Meldung erschien einmal in unseren Medien, dann nicht mehr. In der Folge hiess es nur noch, Nord-Korea habe die Attentats-Drohung lanciert, keine Untersuchung, und Sony wurde ermuntert, auch von Obama, den Film zu zeigen – schliesslich gehöre die Meinungsäusserungsfreiheit zu den westlichen Grundwerten. Niemand mahnte zu politischer Intelligenz und Weisheit, also dazu, kein unnötiges Öl ins Feuer zu giessen. Satire ist, wenn es nützt, mehr wert als friedensfördernde Zurückhaltung, wie bei Charlie Hebdo in Paris …

Und die Abschottung? als Vorwurf? Nord-Korea hat allen Grund, sich vom feindlich gesinnten Westen abzuschotten (siehe unten h). Dies wird ihm als unfrei und widerlich angekreidet. Macht es aber Schritte, sich zu öffnen, ist das natürlich erst recht nicht richtig. Anders lässt sich nicht einschätzen, was der jungen Un A passierte: Ihr YouTube-Kanal Echo of Truth wurde von Google kurzerhand „gesperrt. Ohne Angabe von Gründen“ (AZ 16.1.21 S.11)). Dies machte sie nun auf dem portugiesischen Kanal De Olho na Coreia bekannt, und sie fährt fort, der Welt die angenehmen und schönen Seiten ihrer Heimat zu zeigen, adrett gekleidet und fröhlich, mit dynamischer Bildsprache und professionell produziert – das attestiert ihr der AZ-Jounalist Felix Lill. Und natürlich verfällt er sofort in die obligate Häme und zitiert den Kulturwissenschafter und Süd-Koreaner Vladimir Tikhonov: „Das ist Staatspropaganda … zu viel Personenkult um Kim Jong Un.“ Denn die muss weg, im freien Westen darf das niemand sehen, oder nur via Portugal. Gesperrt wurde auch der Twitter-Account @coldnoodle-fan. Nur die chinesische Videoplattform Bilibili zeigt noch Bilder aus dem „am meisten abgeschotteten“ Land der Erde.

c) Daraus schliesse ich, dass Nord-Korea medienpolitisch zum Abschuss freigegeben wird: gegen dieses Regime ist jede Hetze erlaubt, und der Sony-Film sucht reale Nachahmer. So jedenfalls könnte die Message der USA in Pjongjang angekommen sein – als das Gegenteil einer Friedensbotschaft. Eine solche wäre gewesen, die Einladung zu einer paritätischen Untersuchung anzunehmen. Die USA hätten immerhin Einblick in die nordkoreanische Cyber-Kriegsführung bekommen – Chance vertan!

Nord-Korea ist seit langem Opfer der üblichen medialen Hetze gegen ein missliebiges Regime. Schiesst es Raketen ins Meer oder lässt es seine Flotte üben, so wird mit dem Finger auf dieses Land gezeigt, um es als kriegslüstern darzustellen. Inszenieren aber die USA mit Süd-Korea grossangelegte Manöver, proben also den Ernstfall eines erneuten Korea-Kriegs, so hat Nord-Korea dies gefälligst nicht als Droh-Kulisse wahrzunehmen, sondern als friedenserhaltende Politik der Stärke. Am 12./13.9.16 liessen die USA mit Atombomben bestückbare B-1-Jets über die Halbinsel fliegen (WOZ 15.9.16 S.11).

d) Aus all dem hat Nord-Korea längst den Schluss gezogen: Unsere Atomwaffen halten uns den westlichen Haupt-Aggressor vom Leib! Dafür nehmen wir sogar seine Sanktionen in Kauf. Dass die Papageien-Presse das umgekehrt sieht, müssen wiederum wir als Zwei-Augen-Menschen in Kauf nehmen. Erster Atomwaffentest: 9.10.06, also erst vor zehn Jahren, lange nach der Einreihung in die Achse des Bösen, als Reaktion darauf, als defensive Abschreckung.

Wenn der Atomwaffen-bestückte Westen dem Kleinstaat Israel erlaubt, sich atomar zu bewaffnen, warum dann Nord-Korea nicht? Israel hat weniger potente Feinde als Nord-Korea und potentere Verbündete. Aus der gleichen Schieflage heraus will oder wollte jedenfalls der Westen dem Iran die atomare Bewaffnung verbieten, obwohl Israels Atomwaffen auf diesen Verbündeten Syriens, der Hisbollah und der Hamas gerichtet sind. Nord-Korea ist seit Jahrzehnten im Fadenkreuz der USA und soll sich keine wirksame Abschreckung zulegen? Das kann nur vertreten, wer diese Schieflage befürwortet. Die Christen der USA tun dies – aber auch erst wieder seit der Präsidentschaft von George W. Bush. Sein Vorgänger Bill Clinton (1993-2001) hatte mit Nord-Korea 1994 in Genf ein Abkommen geschlossen, mit dem dessen militärisches Atomprogramm beendet und das Land unter die Kontrolle der IAEA gestellt wurde. Im Gegenzug erhielt Pjöngjang Zugang zu Nahrungsmitteln, Öl und Leichtwasserreaktoren sowie eine Nichtangriffsgarantie (eben: Sonnenscheinpolitik, auch zwischen Nord- und Süd-Korea). Die zitierte atomare Aufrüstung begann erst, nachdem George W. Bush diese Garantie anfangs 2002 aufkündigte und Nord-Korea sowie Irak, Iran und Libyen zur Achse des Bösen erklärte. Er drohte sogar mit präventiven (u.U. atomaren) Militärschlägen (Andreas Zumach, Verfasser von Die kommenden Kriege, in WOZ 15.9.16 S.11). Die logische Folge davon? Eben.

e) Aber das Volk in Nord-Korea hungert, welch schändliches Regime … Darüber gibt es keine verlässlichen Quellen. Der Kronzeuge Shin, dessen Schilderungen weltweit kolportiert wurden und sogar Eingang fanden in US-Schulbücher, musste zugeben, geflunkert zu haben (NZZ 22.1.15 S.6). Ist ja auch logisch: je schlimmer seine Geschichten, um so wärmer und prominenter der Empfang im Westen bzw. in Süd-Korea.  – Wer von aussen kam und dort gelebt hat, lässt dieses Zerrbild nicht gelten .

Religiös motivierte Helfer sahen Menschen in knapper Nahrungssituation. Das gibt es bei den Atommächten Indien und Pakistan und sogar in den USA massenweise. Veranlasst das dort die USA zu feindlicher Haltung und bedrohlichen Militärmanövern? Im Gegenteil, denn das sind keine Kapitalismus-Kritiker. Und wenn Reis-Importe ein Beweis für den Hunger in Nord-Korea sein sollen: auch andere Länder importieren Lebensmittel, z.B. die Schweiz. Und die Quote von Menschen, die am Existenzminimum leben, ist in den USA nicht kleiner als in Nord-Korea: 40 Mio. bei einer US-Gesamtbevölkerung von 315 Mio. 16 Mio. US-Kinder sind auf staatliche Nahrungshilfe angewiesen, Tendenz steigend (SRF-Nachrichten 29.1.15). Eine Studie der Wirtschafts-Universität Wien will 60% der Bevölkerung in absoluter Armut festgestellt haben – mittels Auswertung von Satelliten-Bildern (SDA in 20Min. 19.3.20 S.9). Armut, die zum Himmel schreit? Keine Autos vor den Hütten? Da schreit eher die westliche Propaganda-Maschine. 

f) Ohne die ständige Droh-Kulisse der USA und Süd-Koreas samt Sanktionen, mit einer Einladung zu beidseitigem Abrüsten samt verlässlichen Garantien könnte Nord-Korea seine Ressourcen flacher verteilen, der angebliche Hunger nähme ab, auch das Arsenal von Atom-Waffen, die bis Hawaii fliegen könnten. Warum nicht so ?? Weil der Military Industrial Complex das Feindbild Nord-Korea braucht, um seine Aufrüstungs-Anträge zu begründen.

Allmählich langweilig, diese Zusammenhänge zu wiederholen …

Einem sich christlich nennenden US-Präsidenten würde es eher anstehen, diesem atheistischen Land die Rückkehr in den Schoss derjenigen Staaten zu ebnen, welche mit ihren Nachbarn in Frieden leben, namentlich mit dem ehemaligen Erzfeind Japan und mit Süd-Korea, wo genau wie im Norden eine grosse Sehnsucht nach Wiedervereinigung besteht: „zwei Systeme in einem Staat“ ohne Mauern, ohne Waffensysteme aufeinander zu richten und ohne in Manövern den Angriff zu üben. Dazu müssten die USA sich als faktische Kolonialmacht zurückziehen. Aber eben: Der Military Industrial Complex, lauter bekennende Christen, wird das niemals zulassen. Kim Jong-Un weiss das. Also bleibt ihm nichts anderes übrig als atomare Abschreckung, um sein Volk zu schützen. 

 

g) Nachtrag Juni 2017:

Nun habe ich dieses Land als Tourist (ikarus.com) besucht, netto neun Tage in einer 20-köpfigen Gruppe von Deutschen (Wessis und Ossis), als einziger Schweizer. Wir waren vor allem in der Hauptstadt Pjöngjang, mit Ausflügen per Bus in alle vier Himmelsrichtungen auf sehr schlechten, holprigen Autobahnen, die weitgehend verkehrsfrei waren, vor allem an den beiden autofreien Sonntagen … Meine Eindrücke in Stichworten:

  1. Dieses Land ist gepflegt, sehr sauber, mit grossem Recycling- und Abfall-Bewusstsein. Zürich ist eine Dreckstadt dagegen. Überall im öffentlichen Raum sind Menschen am Putzen und Jäten, und auch die öffentlichen Gebäude sind peinlich sauber, aus neuwertigem Material.
  2. Pjöngjang ist eine hochmoderne Weltstadt mit teilweise futuristischen Hochhäusern, breiten Boulevards, ohne Altstadt und ohne Slums, mit einem Verkehrssystem, welches auf Metro, Tram und Bus, Fahrräder und E-Bikes setzt. Die Menschen sind adrett gekleidet und schlank, niemand fällt als gesundheitlich angeschlagen oder verwahrlost auf. Ich habe keinen einzigen Bierbauch gesehen.
  3. Auffällig sind die vielen Uniformierten mit steifen, voluminösen Mützen und steifem Marschieren in Kolonnen. Wachen werden mit Stechschritt abgelöst, und sogar die Verkehrspolizisten, meist arbeitslos am Rand einer Kreuzung stehend, zeigen sich in steifer Haltung und unnahbarer Miene.
  4. Auffällig sind die vielen verspielt lachenden, gesitteten Kinder, meist in weissen Blusen oder Hemden mit roten Halstüchern als Schul-Uniform, in Vierer-Kolonnen oder friedlichen Gruppen unterwegs. Einige sind stolz auf ihren Drill und ahmen den Drill der Uniformierten nach.
  5. Auffällig sind auf dem Land die gepflegt terrassierten, unter Wasser stehenden Reisfelder, die genau abgemessenen Rabatten mit Setzlingen, die Gemüse-Beete und Obst-Plantagen, wo die Bauern und ihre Hilfskräfte in oft grossen Gruppen arbeiten, meist in gebückter Haltung oder wie auf ihren Fersen sitzend. Nur wenige Quadratmeter sind ungenutzt oder liegen brach. Gepflügt wird meistens mit Ochsen, es gibt keine Pferde und nur ganz wenige Maschinen. In einigen Dörfern entlang von Umleitungs-Strässchen sah ich leicht vergammelte Baracken, aber als Ausnahme inmitten von ein- bis vierstöckigen unscheinbaren Wohn-Gebäuden. Die eine besuchte Wohnung war schlicht und nur mit dem Nötigsten möbliert, aber offenbar der Stolz dieser Familie.
  6. Der Stolz der Nation ist sicher auch die Überwindung jeglichen Hungers, seit die Parole von zwei Ernten pro Jahr gilt. Das bestätigt sogar die NZZ (2.5.17 S.23). Ich bekam den Eindruck, die Bevölkerung Nord-Koreas sei enorm fleissig. Man arbeitet acht Stunden während sechs Tagen pro Woche, die Bauern während des Sommer-Halbjahrs an zehn Tagen aneinander mit einem Ruhetag, dafür im Winter fast nicht. Man lebt einfach und im Kollektiv, alle gehören irgendwo dazu und haben ihre soziale Sicherheit, lebenslang.
  7. Zu diesem einfachen Leben auf dem Land kontrastiert das vor zwei Jahren eröffnete Museum für Wissenschaft und Technik in Pjöngjang, welches einen Einblick gibt in das hohe und höchste Niveau dieser Nation, das der bildungsbeflissenen Öffentlichkeit geboten wird und grundsätzlich allen zugänglich ist. Didaktik mit modernsten Computern ist selbstverständlich, auch in den Schulen und Bibliotheken, welche wir besuchten. Dieser Staat hat sich, so scheint mir, von Grund auf modernisiert, und zwar im Wesentlichen aus eigener Kraft, ohne die massive Hilfe einer Schutzmacht wie im Süden.
  8. Auffällig sind die allgegenwärtigen Bilder von Kim Il Sung und seinem Sohn Kim Jong Il, noch selten ein Bild des jetzigen ersten Mannes, Enkel bzw. Sohn der Genannten: Kim Jong Un. Sie werden hochgradig verehrt, unsere beiden Reiseleiter und auch einige aus unserer Gruppe verneigten sich jeweils vor ihnen beim Betreten der besuchten Gebäude. Dieser fast religiöse Respekt, bei uns Personenkult genannt, erklärt sich mit der Dankbarkeit, welche diesen Führern wegen ihrer historischen Leistungen entgegengebracht wird (siehe unten). Als ich in Wonsan, einer wichtigen Hafenstadt an der Ostküste, zwei überlebensgrosse Statuen von Kim Il Sung und Kim Jong Il aus der Nähe fotografieren wollte, wurde ich lautstark daran gehindert: der Respekt gebiete den Abstand von mindestens 100 Metern, wurde mir beschieden. – Ich erinnere mich an die Bilder von General Guisan, welche bei uns noch lange nach dem 2. Weltkrieg in jeder guten Stube hingen; er wurde ähnlich verehrt, allerdings ohne Verbeugung.
  9. Als wir an einer der vier Kirchen vorbeifuhren, wurde der Verfassungsgrundsatz der Religions- und Kultusfreiheit betont. Staatsreligion ist freilich der Atheismus, und der Staat kümmert sich nicht um die Religiösen.
  10. Beeindruckend ist die allgegenwärtige Disziplin in diesem Land. Ich dachte unwillkürlich an preussische Obrigkeitsgläubigkeit. Aber ich schätzte auch die sichtbaren Folgen davon und würde es schätzen, wenn hierzulande beispielsweise das Littering unterlassen würde, und sei es aus Angst vor Denunziation und Strafe. Weltweit könnten wir froh sein, wenn wir Land, Flüsse und Ozeane dank solcher Disziplin mit unserem Müll verschonen würden. Der hohe Kamin in Pjöngjang, welcher aus einem Fernheizkraftwerk eine dreckige Rauchfahne in den Himmel schickt, wurde denn auch mit skeptischen Blicken bedacht, als wir eine Fischzucht besuchten, welche mit der Abwärme dieses Kraftwerks betrieben wird. Sein Kamin ist übrigens der einzige weit und breit, die Luft in dieser Millionenstadt ist ansonsten sauber, die Fernsicht gut.
  11. In diesem Staat werden meine beiden Grundwerte 1:1 gelebt: Gemeinschafts-Sinn und daraus abgeleitet Gemeinschafts-Eigentum (Staat oder Genossenschaft) sowie Völkerverständigung, beides seit Jahrmillionen in der menschlichen Natur angelegt. Im Museum der Geschenke liegen in Glasvitrinen Tausende von teilweise überaus kostbaren Gaben, welche dem Staatsgründer und seinem Sohn im Lauf der Jahrzehnte aus buchstäblich der ganzen Welt überreicht wurden, auch aus der Schweiz. Und vor kurzem fand ein Jugend- und Sport-Festival statt mit Gästen aus 70 Ländern. Also nichts von isoliert und abgeschottet! Unüberseh- und -hörbar ist die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung mit dem Süden, als EIN Staat mit zwei Polit- und Wirtschafts-Systemen. Wenn da jemand jemanden abschottet, dann der Westen mit seiner Hass-Propaganda gegen dieses Land.
  12. Diese Grundwerte sind freilich gleichsam staatlich verordnet und gesellschaftlich vorgelebt. Es gibt kein Entrinnen. Die europäischen Grundwerte der individuellen Freiheit und Lebensgestaltung gelten dort nicht. Deshalb taugt es nichts, das kollektive Denken und Handeln in Nord-Korea abzulehnen. Es ist dessen Tradition, seit Jahrzehnten, und wir können es nur staunend zur Kenntnis nehmen. Dazu gehört auch, so wurde uns erklärt, dass es dort praktisch keine eheliche Untreue und Scheidung gibt und auch kaum Kriminalität. Der Bestrafung vorgelagert ist die gesellschaftliche Ächtung solchen Verhaltens. Positive Folge dieser sozialistischen Moral ist dann eben auch, dass alle mindestens ein minimales Grundeinkommen haben und niemand arbeitslos ist und dass es für alle neu gegründeten Familien bezahlbare Wohnungen gibt, wenn mir auch die riesigen Blöcke teilweise wie Bienenwaben vorkamen.
  13. Trotzdem: Ich möchte dort nicht leben. Es wäre mir zu eintönig. Denn ich bin ein Kind Europas und der hiesigen Werte, ich liebe die Wahlfreiheit in der Lebensgestaltung, auch was Liebe und Ehe anbelangt. Aber ich kann mich verneigen vor diesen Menschen und sagen: Respekt vor euerm Weg! Anders als z.B. in Indien habt ihr eine nicht-spirituelle Entwicklung gewählt und aus dem Massenelend herausgefunden. Es steht mir nicht zu, euch dafür zu verurteilen, auch wenn mein Verständnis von Sozialismus ein völlig anderes ist: vital, quirlig, fast anarchistisch, in optima forma kreativ.

Aber dazu hättet ihr eine andere Geschichte gebraucht. Eure Geschichte der letzten 100 Jahre war geprägt vom Missbrauch als japanische Kolonie (1905-1945, NZZ 28.4.17 S.39) und vom Zurückdrängen des Kommunismus durch die USA und deren Kriegsführung gegen euch. Das macht eure Entwicklung zu einem preussisch anmutenden Militarismus und zu einem stolzen, extremen (gesamt-koreanischen) Nationalismus nachvollziehbar, bis hin zur atomaren Bewaffnung und dem Bau ballistischer Raketen, eben: als Abschreckung, siehe oben.

Während dieser Reise wurde ich nämlich aufmerksam gemacht auf die kriegerischen Ereignisse in Korea, welche, anders als in Deutschland, ohne eigene Kriegsschuld zu einer Spaltung dieses Landes geführt haben. Kim Il Sung, geboren 1912, wurde als Jugendlicher ein Partisan gegen die japanische Kolonialmacht, welche sich dann nach Hiroshima und Kapitulation aus Korea zurückziehen musste. Das war mir bekannt, ebenso der Koreakrieg 1950-53 und die Überwachung des Waffenstillstands durch ausländische Offiziere, auch aus der Schweiz. Von grossflächigen Bombardements Nord-Koreas durch die USA, während Jahren und immer wieder, hörte ich jetzt erstmals beim Besuch wieder aufgebauter buddhistischer Tempel und vor allem beim Besuch des Kriegs-Museums am 30. Mai:

Nach der Kapitulation Japans am 2.9.45 wurde Korea im Norden von sowjetischen, im Süden von US-Truppen besetzt. Die Demarkationslinie am 38. Breitengrad war nur provisorisch: bis zur Wiedervereinigung, dachte man. Am 10.8.48 proklamierte sich allerdings Süd-Korea nach westlichem Vorbild als eigener Staat. Nord-Korea tat am 12.9.48 dasselbe als sozialistischer Staat. Beide erhoben den Anspruch, ganz Korea zu vertreten. 1949 zogen beide Besatzer ihre Truppen ab (Ploetz 1977 S.411 ff).

Die ganze westliche Welt geht davon aus, dass der Koreakrieg am 25.6.50 begann, als nordkoreanische Truppen über den 38. Breitengrad nach Süden vordrangen und nach vier Tagen die südkoreanische Hauptstadt Seoul eroberten, in der Folge fast ganz Süd-Korea. Unter der Schirmherrschaft der UNO hätten die USA aber die nordkoreanischen Truppen zurückgedrängt und seien bis an die Grenze Chinas vorgerückt. Das provozierte den Kriegseintritt des seit 1949 kommunistischen China. Im Frühjahr 1951 habe sich die Front am 38. Breitengrad stabilisiert, und nach langwierigen Verhandlungen hätten die USA und Nord-Korea am 27.7.53 einen bis heute eingehaltenen Waffenstillstand geschlossen.

Bei unserem Besuch im Kriegs-Museum jedoch wurden wir zuerst an abgeschossenen und zerbeulten Flugzeugen der USA sowie an deren Panzern vorbeigeführt, nebst Bildern von sich ergebenden US-Militärs. Dann wurde uns ein Film gezeigt unter dem Motto: Wer begann den Koreakrieg? Die Antwort war genau gegenläufig: In einer heftigen Wirtschaftskrise gab! US-Präsident Truman der unzufriedenen Wallstreet den Koreakrieg, um sie mit dem erwarteten Wachstumsschub zufrieden zu stellen. Der Film zeigte Originalzitate aus der klammheimlichen Planung des Überfalls auf Nord-Korea mittels grossflächiger Bombenteppiche, welche die Zivilbevölkerung überraschte und verheerend traf. An die Daten erinnere ich mich nicht. Der Tenor war jedoch eindeutig: Süd-Korea und die USA haben den Koreakrieg begonnen, und Nord-Korea hat sich heldenhaft gewehrt und dieser Grossmacht eine Niederlage nach der andern zugefügt, sodass diese schliesslich, statt den Norden in das westliche System einfügen und so die Wiedervereinigung ganz Koreas herbeiführen zu können, in den für sie schmählichen Waffenstillstand einwilligen musste.

Wieder daheim, habe ich versucht zu ergründen, ob es in den mir zugänglichen westlichen Quellen Anhaltspunkte für diese Version gibt. Denn im Kontext meiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber der amerikanischen Kriegs-Propaganda würde es mich nicht erstaunen, wenn ihre Version (die Truppen Nord-Koreas griffen am 25.6.50 Süd-Korea an, worauf die USA diesem zu Hilfe eilten) sich als gigantische Kriegs-Lüge entpuppt und sich zu Unrecht im Welt-Gedächtnis festgesetzt hat. Gefunden habe ich nur einen einzigen Hinweis: Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, im Herbst 1950, während die USA ihre pazifischen Streitkräfte mit Milliarden-Beträgen aufrüsteten und zahllose zivile Ziele Nord-Koreas mit immer neuen Bombenangriffen in Schutt und Asche legten, erklärte die Sowjetunion Süd-Korea zum Angreifer und beschuldigte die USA der Einmischung in innere Angelegenheiten fremder Staaten (Chronik des 20. Jh. S.741). Es gab sie also schon damals, die alternative Version des Kriegsbeginns (vgl. NZZ 25.3.17 S.9). Mangels Zugang zu verlässlichen Quellen muss ich die Frage nach dem Kriegs-Verursacher offen lassen. Ich habe jedoch keinen Anlass, der amerikanischen Kriegs-Propaganda eher zu glauben als der sowjetischen und nordkoreanischen. Zu den UNO-Mandaten für das enorme militärische Engagement der USA kam es denn auch nur, weil die UdSSR kein Veto einlegte: Ihr Vertreter Jakob Malik boykottierte in jenen Monaten alle Sitzungen des Sicherheitsrats, weil dort trotz des Sieges der Kommunisten in China noch immer ein Vertreter National-Chinas sass, der mit den USA stimmte …

Auch wenn die genannte Frage offen bleibt, so steht doch gemäss übereinstimmender Quellenlage (Ploetz, Chronik, Wikipedia) fest,

  • dass die USA in Nord-Korea während des ganzen Kriegs nicht nur militärische, sondern massenhaft zivile Ziele wie Staudämme und Ballungsgebiete bombardierten, ähnlich wie 1944/45 in Deutschland,
  • dass sie auch Seoul bombardierten, als dieses von nordkoreanischen Truppen besetzt war,
  • dass sie mehr Napalm-Bomben auf Nord-Korea warfen als 20 Jahre später auf Nord-Vietnam,
  • dass sie also unschuldige Zivilisten buchstäblich zu Tode rösteten  (Friedrich Paul Berg), Hunderttausende, um diese Kraftprobe mit dem Kommunismus mit aller Macht zu gewinnen (Chronik S.741, vgl. Kap. 10 b+d: aus Angst vor einem eventuell überlegenen Wirtschaftssystem),
  • dass sie auch Königsgräber und buddhistische Heiligtümer bombardierten,
  • dass im Koreakrieg etwa 150’000 US-Soldaten fielen oder verletzt wurden, während die koreanischen und chinesischen Opferzahlen (Militär und Zivilbevölkerung) siebenstellig waren ,
  • dass die Siedlungsgebiete Nord-Koreas 1953 grösstenteils in Schutt und Asche lagen. Letzteres ist übrigens der Grund, weshalb Pjöngjang praktisch keine alten Gebäude aufweist – es wurde buchstäblich neu erbaut.

Und der zitierte geschichtliche und der Kriegs-Verlauf ist der (Hinter-) Grund, weshalb sich Nord-Korea nur mit Hochrüstung und atomarer Bewaffnung einigermassen sicher fühlt davor, von den USA nicht wieder angegriffen zu werden – eben: nicht wie Serbien, Irak, Libyen usw. – in der Ära Trump sowieso. Das erklärt auch das Primat der Armee innerhalb der Staatsdoktrin Dschutsche, die seit 1955 gilt. Die USA lagern nämlich in Süd-Korea seit spätestens 1975 Atomwaffen und drohten wiederholt mit deren Einsatz (Ploetz S.413/417). Und es erklärt die militaristische Grundstimmung in diesem Land – natürlich auch ein Instrument des Machterhalts der herrschenden Partei der Arbeit und der tonangebenden Elite, analog zur Grundstimmung bei der Wählerschaft von Donald Trump. Ein Kollege in der Reisegruppe leidet unter der Grundstimmung im Westen derart, dass er in Nord-Korea allen Ernstes um politisches Asyl nachsuchen will.

Derart begeistert bin ich nicht von diesem Land. Aber es war hochinteressant, die unterschiedlichen Werthaltungen, auch in der Gruppe, zu spüren und auszuhalten. Ich bin immer noch daran abzuwägen, ob wir global die in Kap. 30 genannten Probleme auch hätten oder weniger, wenn es mehr Nord-Koreas gäbe – oder lediglich andere …

h) Medienschelte zu den Berichten über Nord-Korea: tendenziös, schludrig.

Ein Journalist ist Auftragnehmer. Der Auftraggeber, von dem er abhängig ist, das ist der Verlag. Dieser wiederum ist abhängig vom politisch-kulturellen Umfeld, vom Mainstream, von der tonangebenden Elite, welche keine Subversion duldet – oder nur ein wenig, um sich mit ihrer Toleranz zu brüsten – wie damals der König, der sich einen Hofnarr hielt und diesem erlaubte, ihm schalkhaft einen kritischen Spiegel vorzuhalten (vgl. Kap 1 a.E. und Kap. 2). Unsere bürgerliche Elite hat die wesentlichen Machtmittel fest in ihrer Hand, um die herrschende! bürgerliche Meinung durchzusetzen: Armee und Wirtschaft als Karriere-Filter, Zeitungsverlage, Radio/TV, Parteien, Kirchen. Dazu gehört, über linke Unterwanderung zu klagen. – Ich verzichte auf vernebelnde Differenzierungen, vgl. Kap. 5 .

Unsere Elite, stramm anti-sozialistisch, gibt den Verlagen und den Journalisten vor, über Nord-Korea, das strammste sozialistische Land, nur abschätzig zu berichten, respektlos und tendenziös. Der Auftrag lautet: Dein Bericht soll unsere Einschätzung bestätigen, dass dieses Land mit der Kollektivierung der Wirtschaft und des gesamten Lebens gründlich auf dem Holzweg, folglich unser Feind ist; dabei darfst, ja sollst du alles einseitig negativ darstellen, Flunkern erlaubt. Es darf, wenn du schreibst, nicht mal respektvolles Wohlwollen durchschimmern. Wenn dein Bericht das Regime in Pyongyang und sein System lobt, wenn du gar irgendwelche Fortschritte lobst ohne abschätzigen Kontext, dann bist du, jedenfalls im Wiederholungsfall, deinen Job los. – Das wirkt. Über Nord-Korea haben wir hierzulande eine Meinungs-Diktatur. In meinem langen Leben habe ich niemanden angetroffen, der an diesem Land auch nur einen guten Faden lässt – den es zweifellos gibt, siehe oben.

So präsentieren sich denn auch einige Berichte der jüngsten Zeit über Nord-Korea tendenziös und schludrig (NZZ 18.2.17 S.7, 25.3.17 S.9 und 28.4.17 S.39), mit Ausnahme eines Lichtblicks:

Die Neue Zürcher Zeitung zitiert Andrei Lankow, der an der Kookmin-Universität in der südkoreanischen Hauptstadt forscht: „In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Wirtschaftslage signifikant verbessert.“ Insgesamt berichten die Nordkorea-Experten: „Die Strassen sind belebter als früher, und die Menschen hungern nicht mehr.“ Das und anderes schreibt Patrick Welter, Seoul, unter dem Titel Nordkorea – das Land der roten Kapitalisten (NZZ 2.5.17 S.23). Aha: Der Mythos vom Land, wo die Menschen Gras und Wurzeln essen, auf der „verzweifelten Suche nach etwas Essbarem“ (NZZ 25.3.17 S.9), ist also endlich überwunden. Das deckt sich mit meinen Beobachtungen während der erwähnten Reise in alle vier Landesgegenden: Kein Mensch ist ausgemergelt oder fettleibig, alle sind normal schlank und scheinen wohlgenährt und normal gesund, insbesondere die Kinder. Und wenn sogar die anti-sozialistische NZZ solches berichtet, dann kann darauf bedenkenlos abgestellt werden. Nord-Korea befolgt denn auch, so wurde uns gesagt, seit der Regentschaft von Kim Jong Un die Doktrin von zwei Ernten pro Jahr, nicht mehr nur eine.

Das hindert aber Christoph Giesen nicht, im Tages-Anzeiger vom 14.6.17 (S.12: Hintergrund & Debatte) unter ein Foto mit Kim Jong Un’s Fabrikbesuch in einer Keksfabrik zu schreiben: „40% der Nordkoreaner sind unterernährt.“ Giesen begleitete während knapp einer Woche den Chef der Welthungerhilfe, den Deutschen Till Wahnbaeck; dieser „wollte sehen, wie die Hilfsprojekte vorangehen“ (Lead des Artikels). Im Text lässt sich eruieren, dass sich diese 40% nicht auf den Jetzt-Zustand beziehen, sondern die gesundheitlichen Spätfolgen einer Hungersnot um 1995 beschreiben. Obwohl das übersetzt heisst, wie in der NZZ, dass die Gegenwart keinen Hunger kennt, erweckt der Artikel übers Ganze gesehen den Eindruck, „dass hier etwas gewaltig schiefläuft“. Ja, in der Berichterstattung: Giesen resümiert nämlich: „Warum klappt es in diesem Land einfach nicht? An der Bildung liegt es nicht: Die Analphabetenquote liegt auf europäischem Niveau. Das Problem ist das Regime selbst: Wenn die Führung wollte, könnte sie die humanitären Probleme sehr schnell lösen.“ Bitte schön, welche? Giesen erwähnt keine. Dass die Welthungerhilfe im Dorf Anbyon „in insgesamt 275 Haushalten Toiletten eingebaut hat“, ist löbliche technische Entwicklungshilfe, hat aber mit Hungerhilfe und humanitären Problemen nichts zu tun. – Diesen Artikel könnte man mit respektvollem Wohlwollen ganz anders schreiben, etwa: Die Welthungerhilfe wird vielleicht bald anerkennen, dass der Hunger in Nord-Korea dank umsichtiger Planung überwunden ist und es deshalb solche Hilfe nicht mehr braucht. Diese UNO- (oder EU-) Organisation verlegt ihre Hilfe deshalb in Länder, welche unter den Kollateralschäden des Kapitalismus leiden. Aber dann hätte Christoph Giesen wohl bald keinen Reportage-Auftrag mehr … Er schreibt übrigens noch, um die negative Schilderung zu toppen, dass ein Universitätsprofessor „kaum mehr als 22 Franken pro Monat verdient.“ – also einen Zehntel des Hotel-Preises pro Person und Nacht, welcher der Delegation der Welthungerhilfe fakturiert wurde. Das kann so nicht stimmen, ist Geflunker. Und wenn: Dieser Betrag ist nur plausibel, wenn die Gratis-Leistungen im Normal-Leben abgezogen sind: Hort, Bildung, Medizin, Basis-Ernährung, Wohnen, Verkehr, Kultur usw. Sonst wäre es nicht möglich, dass viele Professoren-Familien in die vor zwei Jahren erbauten, luxuriösen Wohntürme bei der Kim Il Sung-Universität eingezogen sind.

Den Vogel abgeschossen hat in Sachen Meinungsdiktatur, wen wundert’s, der blickamabend (11.5.17 S.9) mit dem Titel „Touristen zahlen Kims Atombomben“. Die deutsche Regierung wolle stoppen, dass sich Nord-Korea jeden Monat 38’000 Euro überweisen lasse aus dem Erlös seines Hostels in Berlin, das dort mit 435 Betten neben seiner Botschaft beim Potsdamer Platz steht. Wie bitte? Nach dieser Logik zahlen Israel-Reisende an Israels Atombomben, USA-Reisende an US-Atombomben. Jemals so überlegt? Eben.
Ähnlich schludrig ist die Berichterstattung über den Nordkorea-Gegner und Abenteuer-lustigen Trunkenbold +Otto Warmbier, welchen sie, obwohl er Täter war, zum Opfer und zur Ex-Geisel des irren Kim machte (a.a.O. 14.6.17 S.9). Donald Trump witterte, Warmbier sei gefoltert worden. Dem widerspricht Spital-Notarzt Mike Flueckiger: „Ich hatte den Eindruck, dass er gut behandelt wurde“ (SDA in 20Min. 9.3.20 S.8).

Es gibt zum Glück noch andere Medien als die zitierten. Im ZEITPUNKT wurde am 13.1.18 ausgewogen berichtet über das neue Tauwetter zwischen Nord- und Süd-Korea anlässlich der Olympiade im Februar.   

Die Schweiz hat ähnliche Ideale und Tugenden wie Nord-Korea: diszipliniert, pünktlich, korrekt, sauber, dies neuerdings auch im Bankensektor, mit umfassender Schul- und Berufsbildung, starker Mittelschicht und guter sozialer Abfederung sowie mit starker Armee. Eigentlich müsste Nord-Korea hierzulande mehr Sympathien geniessen, oder wenigstens respektvolles Wohlwollen …

i) Nachtrag Frühjahr 2018:

Zur Zeit finden in Süd-Korea die Olympischen Winterspiele statt, mit Tauwetter zwischen Nord und Süd. Noch anfangs Dezember 2017 führten die USA und Süd-Korea während fünf Tagen grossangelegte Luftwaffen-Manöver durch, zu welchen 6 Jagdflugzeuge vom Typ F-22 Raptor dorthin verlegt wurden. „Vigilant Ace“ nannten sie das, wachsame Kanone. US-Präsident Trump hatte schon mehrfach gedroht, Nord-Korea komplett zu zerstören, und Kim Jong-un drohte umgehend mit Vergeltung. Diese ist mittlerweile glaubhaft: auch amerikanische Experten attestieren der Interkontinental-Rakete Hwasong 15 samt Atomsprengkopf eine Reichweite bis mindestens zur Westküste der USA (AP in 20Min. 1.12.17 S.15). Das bedeutet: mindestens bis Hawaii und Alaska. Die Führung in Nord-Korea hält einen Krieg mit den USA für unausweichlich (KCNA/SDA in 20Min. 8.12.17 S.17). 

Ich gehe davon aus, dass der kaufmännisch tickende Trump das Risiko eines zerstörerischen Angriffs auf Nord-Korea für zu hoch einschätzt. Seine Generäle müssten ja garantieren, dass sie der angedrohten Vergeltung zuvorkommen könnten. Wieso soll er ihnen glauben? So oder so wäre seine America-first-Politik und seine Wiederwahl gefährdet. Also wird er am ehesten dieses störrische Land dazu benutzen, die ohnehin im Gang befindliche Aufrüstungs-Spirale zu legitimieren, und sich auf die lukrativeren Feinde Russland und China konzentrieren, welche den Vormacht-Anspruch der USA langsam aber sicher untergraben (augenfälliger Indikator: Petro-Hüan statt Petro-Dollar).

Nord-Korea hat sein strategisches Ziel erreicht: es hat sich unangreifbar gemacht. Putin hat Kim Jong-un kürzlich attestiert, diesen Wettlauf gewonnen zu haben. Es wäre indessen sehr klug, das dem US-Präsidenten nicht unter die Nase zu reiben. Ich fürchte nämlich, dass Trump, innenpolitisch verstrickt und bedrängt, zu einem kriegerischen Befreiungsschlag ausholt, wenn er gereizt wird – um die Mehrheit hinter sich zu scharen, auch die Verbündeten. Das kann Kim Jong-un am ehesten vermeiden, wenn er das Tauwetter intensiviert und sich gegenüber den USA still verhält. Und wenn diese nach der Olympiade auf die nächsten Manöver drängen? Dann kommt es darauf an, ob der vernünftige Präsident Süd-Koreas bei seinem Angebot an Nord-Korea bleibt, mit einem bilateralen Militär-Dialog die Spannungen auf der Halbinsel zu reduzieren (SDA in 20Min. 10.1.18 S.29). Die Friedenskräfte auf der Welt, auch die Präsidenten Russlands und Chinas, müssten dann dem süd-koreanischen Präsidenten den Rücken stärken, nicht dem nord-koreanischen.

Es bleibt spannend. Wie viel Gewicht hat das Nichtangriffs-Gebot der UNO-Charta im ältesten Rechtsstaat der Welt? Meine Hoffnung oben wurde bereits enttäuscht: Die USA planen nun, da die Olympiade vorbei ist, die alljährlichen Manöver in Süd-Korea, eine Droh-Kulisse gegen Nord-Korea, obwohl Kim Jong-un am 5.3.18 das Angebot machte, während der Dialog-Phase mit dem Süden seine Atom- und Raketen-Tests zu stoppen und atomar abzurüsten, „wenn die militärischen Drohungen gegen den Norden beseitigt und die Sicherheit der Nord-koreanischen Führung garantiert würden“. Über dieses Angebot wollen Kim und Moon Jae-in Ende April an der Grenze verhandeln (AFP/SDA in 20Min. 7.3.18 S.12). Und parallel dazu US-Manöver? Es bleibt spannend.

Ja: Die USA haben auf die Manöver nicht verzichtet. Nord-Korea hat sich darüber empört – zu Recht, nachdem es ja sein Atom-Versuchsgelände geschlossen hatte, als Zeichen des guten Willens. Und Donald Trump hat diese Empörung nun zum Anlass genommen, die auf den 12. Juni 2018 geplanten Gespräche abzusagen. Wenn er den diplomatischen Kanal schliesst – welche Optionen hat er noch für sein Prestige-Objekt, Nord-Korea zu „entwaffnen“? Bei seinem Naturell: nur die militärische, fürchte ich. Was tut dann China? Russland? Oder ist sein höflich formulierter Absage-Brief ein Zeichen, dass er es dabei bewenden lässt? Es bleibt sehr spannend. Kim behält ja die Bombe …
k) Nachtrag Juni 2018
Nun hat am 12. Juni das Treffen stattgefunden, in guter Atmosphäre. Trump lobte Kim sogar. Wofür? In der gemeinsamen Erklärung steht, dass Nord-Korea „auf eine vollständige Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel hinarbeiten will“ und beide Seiten „auf einen dauerhaften und stabilen Frieden hinarbeiten wollen“, für „Frieden und Wohlstand“ (SDA/AFP in 20Min. 13.6.18 S.10). Die USA halten aber die erdrückenden Sanktionen aufrecht und haben bisher nicht auf die im August geplanten Militär-Manöver in Süd-Korea verzichtet. Das bedeutet, dass die USA wieder einmal damit rechnen, die schwächere Seite schwäche sich selbst zuerst, ohne eine Gegenleistung auf sicher zu haben. Eine minimale Gegenleistung wären Sicherheits-Garantien für Nord-Korea, ein Nichtangriffs-Pakt, international und von der UNO verbürgt. Denn der junge Kim vertritt auch die Enkel der Mio. von Toten nach den Flächenbombardements der USA im Korea-Krieg von 1950-53. Wieso soll er einem allfälligen Nichtangriffs-Versprechen dieses US-Präsidenten trauen? Der hat ja die riesige Aufrüstungs-Industrie mit ihrer riesigen Lobby im Nacken, sogar wenn er ein solches Versprechen abgäbe. Das weiss Kim natürlich. Der hat auch alte Generäle im Nacken, die ihn vor übereiltem Nachgeben warnen. Sein Verbündeter ist ausgerechnet der Präsident des bis vor kurzem verfeindeten Süd-Korea. Und China? Russland? – Es bleibt spannend. – Auf die Manöver verzichten die USA neuerdings zwar. Aber die Sanktionen sind Ende Juni um ein Jahr verlängert worden (SDA in 20Min. 25.6.18 S.15). Eine alte (christliche?) Wildwest-Tugend: Mit vorgehaltener Knarre lässt’s sich leichter verhandeln …
Mitte Juli tönt es weniger euphorisch: Nach über acht Stunden Verhandlungen erzählte zwar Aussenminister Pompeo von „Fortschritten in fast allen zentralen Fragen“, aber das Nord-koreanische Aussenministerium sprach von „gangstermässigen Forderungen“ der USA (KKO in 20Min. 9.7.18 S.10). Pompeo hat wahrscheinlich die Lockerung der Sanktionen versprochen, wenn Nord-Korea zuvor seine A- und W-Bomben verschrotte. Wahrlich kein attraktives Angebot für ein Land, das von den USA einst in Schutt und Asche gelegt wurde und das seine Bevölkerung vor einem neuen Waffengang bewahren will. – Immer noch spannend.
l) Nachtrag Februar 2019
Und nun also ein weiteres Gipfeltreffen Ende Februar in Hanoi? Die USA wollen die De-Nuklearisierung Nord-Koreas vor einem Friedensvertrag, die Nord-Koreaner nach diesem. Was ist logischer? An diesem Gegensatz ist der Gipfel nun gescheitert – sagt die Papageien-Presse. Nein: US-Präsident Trump ist gescheitert; mit seiner Strangulations-Politik. Einer springt dir an die Gurgel und will, dass du dein Messer fallen lässt !! Geht gar nicht, Kim weiss: Mit dem Messer geht es seinem Volk besser, auch wenn der (flach verteilte) Wohlstand bescheiden bleibt. Den habe ich ja gesehen, siehe oben.

 

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