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49. In einem sozialistischen Polit-System ist das alles viel leichter umzusetzen als in einem kapitalistischen. Gebt ihm also eine zweite, eine faire Chance, statt auf beide zu schimpfen und zu resignieren!

a) Wenn sich irgendwo eine (sagen wir mal) sozialdemokratische Regierungs-Mehrheit daran machen will, einen im genannten Sinne guten Staat aufzubauen, und sich das dazu nötige Geld mittels Steuererhöhungen bei den Reichen holen möchte – was wird dann geschehen? Was geschah z.B. in Chile anfangs der 1970er Jahre unter dem demokratisch gewählten linken Präsidenten +Salvador Allende? Oder jetzt in Venezuela unter +Chavez/Maduro? Die Klasse der Reichen und Superreichen inszeniert mit geschickter Propaganda einen Aufstand und wandert mit ihrem Reichtum in Steueroasen ab oder droht damit. Sie verweigert sich der demokratisch legitimierten Mehrheitsregierung, organisierte damals in Chile einen weltweit beachteten Protestzug der „leeren Pfannen“, und sie vermarktet die Reaktion der Mehrheit darauf als „Unterdrückung des Volkes“. Die Regierung wird dann in einen zermürbenden Kleinkrieg verwickelt und an der Umsetzung ihrer Vorhaben gehindert. Und diesen Kleinkrieg wiederum vermarktet die reiche Minderheiten-Klasse, der die Machtmittel der politischen Propaganda gehören, als „Versagen“ der Regierung – und gewinnt damit die nächsten Wahlen. – Bis zum müden Abwinken haben wir das erlebt.

b) Ich kann mir ein alternatives Szenario vorstellen – immer noch im Kontext des kapitalistischen Polit-Systems. Zum Beispiel in Frankreich:

Stell dir vor, der demokratisch gewählte Präsident François Hollande, „Sozialist“ und nicht Schwächling, der er war, hätte die wirtschaftliche Machtelite im Elysée versammelt und hätte folgende Ansprache gehalten:

Messieurs Mesdames, mein Kabinett hat beschlossen, sich aus der Wirtschaftspolitik zurückzuziehen, weil wir ja in Ihren Augen sowieso alles falsch machen. Es ist künftig nicht mehr Sache des Staates, eine zufriedenstellende Versorgung der Bevölkerung zu garantieren, sondern allein Ihre Sache, die Aufgabe der freien Marktwirtschaft. Das ist ja Ihr Credo! Wir werden aber beobachten, wie und mit welchem Erfolg Sie das machen. Und wenn Ihnen eine zufriedenstellende Versorgung samt Vollbeschäftigung und ohne Teuerung nicht gelingt, werden wir Sie enteignen und Ihre Betriebe verstaatlichen oder in bedarfsdeckende Genossenschaften umwandeln – natürlich entschädigungslos. Denn Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht – das hätte gerade noch gefehlt, dass wir Sie für Ihr Versagen mit Entschädigungen belohnen. Wir hoffen aber, dass Sie Erfolg haben und uns diese Konsequenz Ihres Credos ersparen.

Die Folgen dieser Ansprache wären nicht auszudenken gewesen. Vom Steuer-Streik bis zum Militärputsch würde die rechte Machtelite alles unternehmen, um so etwas zu verhindern. Andererseits ist es ja wirklich paradox, dass der sozialistische (!) Präsident Hollande daran gemessen werden wollte, ob er die Versorgung und Vollbeschäftigung einigermassen hinkriegt, sic! Marxisten nennen das, wenn ich mich recht erinnere, das unauflösliche Paradox der Sozialdemokratie, und sie haben natürlich recht: Innerhalb eines kapitalistischen Polit-Systems lässt sich eine im genannten Sinn gute Welt, eine optimal organisierte Gesellschaft nicht aufbauen, nicht gegen den Willen der Besitzenden. Und schon gar nicht global.

c) Natürlich gibt es löbliche Ausnahmen. Die skandinavischen Länder haben ein seit Jahrzehnten ruhiges Sozialklima. Aber das hat viel mit deren Mentalität zu tun, welche den Wachstumswahn und die Raffgier der Neoliberalen ablehnt. Diese Mentalität lässt sich nicht exportieren – stell dir einen texanischen Milliardär und/oder einen Exponenten der Tea-Party vor, wenn er sie sich aneignen müsste!

Auch die Schweiz ist keine solche Ausnahme. Wir verdanken unseren seit dem 2. Weltkrieg angehäuften Reichtum nicht nur der Vernunft und dem Fleiss, sondern auch dem Bankgeheimnis, also der Hehlerei. Das sagte einer, der es wissen muss, ein Banker, bevor er CEO der UBS wurde – ja: Sergio Ermotti. – Und auch bei uns wächst das Prekariat. Dieses abzufedern ist ein zermürbender Kampf, den sich vor allem die Sozialdemokratie vorgenommen hat.

d) Wenn es zum Einrichten einer guten, also einer egalitären Welt keinen dritten, sprich sozialdemokratischen Weg à la Hollande gibt, dann bleibt für solche, die das trotzdem wollen – nein: nicht die übliche Resignation, sondern der Sozialismus im weitesten Sinne. Ich will keine Neuauflage des real existierenden (1917 bis 1989), obwohl auch der besser war als sein Ruf im Westen. Ich plädiere für eine zweite, eine faire Chance. Dazu gehören zwei Voraussetzungen: Dass ein solches erneutes Experimentierfeld nicht umzingelt ist von feindlichen Kräften (Baustellen-Syndrom, vgl. Kap. 11e und 32, siehe Venezuela), sondern sich frei von jeder Einmischung entfalten kann, und dass das längst vorhandene Wissen um alternative Wirtschafts- und Lebensformen basis-demokratisch umgesetzt wird. Dazu gehört, dass es in einem solchen Feld kein auf Profit ausgerichtetes Gross-Privateigentum gibt, also unter anderem keine Konzern-artigen Aktiengesellschaften, weil sich diese sofort störend einmischen würden, und dass das Bildungssystem auf die Förderung der Kooperation ausgerichtet ist („Alle für alle“) statt auf Wettbewerb („Alle gegen alle“). Der enorme Vorteil eines gelebten Sozialismus ist die internationale Solidarität, also der Wegfall der Grenzen zwischen den Menschen, den Geschlechtern, den Klassen, den Ethnien und den Nationen. Das mündet in eine völlig andere Globalisierung als im kapitalistischen Polit-System, welches die Unterschiede im Geschlecht, in Hautfarbe und Rasse, in Religionen und ethnischer Zugehörigkeit, in Gesellschaftsschichten und Vermögensklassen systematisch schürt. Der arme Indio oder indische Paria ist dann grundsätzlich nicht weniger wert als der texanische Ölmilliardär: das Öl gehört und dient ohnehin allen, und sämtliche Schätze dieser Erde auch.

Seminar-Thema für Politologie-Studierende: Welches System schafft es eher, den Ansturm der künftigen Klima-Flüchtlinge friedlich zu bewältigen ??

Ist eine Zweit-Auflage des Sozialismus realistisch? Nein, aber das ist die falsche Frage. Die richtige lautet: Stimmt die Ausrichtung? Ja! Also, was gibt es zu tun? Und warum zögerst du?

e) Ich will mit dem Gesagten die übliche Scheu mindern, eine zweite Chance des Sozialismus auch nur zu denken. „Der Sozialismus wurzelt zutiefst im Gemeinschaftsgefühl, er ist Urlaut der Menschheit, der Weltanschauung geworden ist(Alfred Adler, Psychotherapie und Erziehung, Vortrag 1919 über Bolschewismus und Seelenkunde, Fischer Taschenbuch S.31). 

Dazu Axel Honneth, Die Idee des Sozialismus, Suhrkamp, Berlin 2015, Bruno Kreisky-Preis … Leseprobe »  Bestellen » CH: 32,90 sFr.

Wir sind ja fast ausnahmslos durchtränkt mit der Propaganda, dass es zum Kapitalismus keine Alternative gebe und der „Zusammenbruch“ im Osten (1989) der Beweis dafür sei. Dem halte ich entgegen, dass das Geschehen im Osten mittels Lügen und dem Baustellen-Syndrom versalzt wurde und dass es sehr wohl Alternativen gibt – Alternativen dazu, uns mit noch mehr Kapitalismus den Ast abzusägen, auf dem wir alle sitzen. – Darum hat Kevin Kühnert, Chef der deutschen Jungsozialisten, Lob verdient für sein Aufsehen-erregendes Interview in der <Zeit> (Frühjahr 2019): Er stelle sich unter Sozialismus eine Welt vor, „in der die Menschen ihren Bedürfnissen nachgehen können – eine Demokratisierung aller Lebensbereiche(zitiert in P.S. 10.5.19 S.9).

Ein Ast-absäge-Beispiel gefällig? Die Entwicklungssoziologin Prof. Shalini Randeria sagte gemäss NZZ vom 29.4.13: „Die Einwohner der Stadt New York verbrauchen an einem Tag mehr Energie als der gesamte afrikanische Kontinent.

f) Einige Leseproben gefällig? – Ja, mit Medienkompetenz (vgl. Kap. 2) !

http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1955/1955-03-a-157.pdf

http://www.zeit.de/2011/51/Einfuehrung-Sozialismus

http://www.klaus-blessing.de/media/zukunft_inhalt_auszuege.pdf

http://www.kpd-ml.org/doc/diskussion/Rote_Reihe_2.pdf

https://www.mlpd.de/themen/themen-a-z/sozialismus

http://www.amazon.de/Die-sozialistische-Zukunft-Geschichte-Streitschrift/dp/3867898316

http://www.linksnet.de/de/artikel/25016 Her mit dem ganzen Leben Sozialismus und Zukunft

Nachtrag vom 1.12.17:

g) Es gibt auch real existierende Beispiele eines im Ganzen gesehen guten Sozialismus. Ich will hier absehen vom Reizwort Nord-Korea, obwohl jene Umsetzung der hier vertretenen Vision weit besser ist als der Ruf, den ihm die westliche Propaganda angehängt hat ( Kap. 34). Vielmehr möchte ich auf ein Land hinweisen, das abseits der Weltöffentlichkeit seit seinem Sieg über die US-Army 1975 eine stete Aufbauarbeit leistet im Dienste aller, statt wie vorher im Dienste weniger: Vietnam. Dort hat die kommunistische Partei die Vorteile unternehmerischer Initiativen längst erkannt und am 3.6.17 Leitlinien veröffentlicht, unter denen der private Wirtschaftssektor pro-aktiv entwickelt werden soll. Ziel ist eine sozialistische Marktwirtschaft, in welcher die politischen Schwächen der Privatwirtschaft (lügnerische Werbung, illoyale Konkurrenz sowie Wirtschafts- und Steuerbetrug) limitiert und seine Stärken gefördert werden. Bis 2020 sollen mindestens eine Million neuer Unternehmen geschaffen werden, bis 2025 1,5 Mio. und bis 2030 zwei Mio. Deren Beitrag zum Bruttoinlandprodukt soll bis auf 60% wachsen – derzeit liegt er bei 40%, obwohl 85% der aktiven Bevölkerung im Privatsektor beschäftigt sind. Die 4,9 Mio. Kleinproduzenten werden ermutigt und begleitet, sich als Unternehmen zu konstituieren, als KMU.
Diese Angaben stammen aus einem Bericht der vietnamesischen Nachrichtenagentur VNA vom 7.9.17 (in HOA BINH, dem Organ der Vereinigung Schweiz-Vietnam 32/2017 S.18-20). Sie zeigen, worin sich dort die Kultur der KMU von derjenigen der Schweizer SVP unterscheidet: In der Schweiz wirken kleine und mittlere Unternehmen vor dem Hintergrund der Finanzoligarchie und der privatwirtschaftlichen Grossunternehmen, und alle mischen sich störend und vereinnahmend als mächtige Lobby in die politischen Verteilkämpfe ein. In Vietnam helfen die KMU lediglich, den Grundbedarf der Gesamt-Bevölkerung zu decken, ohne Reichtümer anzuhäufen, welche als politisches Druckmittel gegen die Interessen der Bevölkerung ausgespielt werden können; diese Kultur wird durch die Oberaufsicht der KP sichergestellt, welche seit je dem Gesamtwohl verpflichtet ist. – Das ist moderner, intelligenter Sozialismus. Dem zollt sogar die rechts-bürgerliche NZZ Lob: „Von der Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens, das heute bei 2’400 $ liegt, haben so gut wie alle profitiert“ (Manfred Rist, 20.2.19 S.27).
Die KMU im Westen bräuchten sich also ideologisch vor einem solchen Modell nicht zu fürchten. Im Realsozialismus würden sie nicht verstaatlicht, im Gegenteil. Ihre Spitzenverbände müssten allerdings über den Schatten springen und sich aus der Vereinnahmung durch die Finanzoligarchie und die Grossunternehmen lösen, denen die Verstaatlichung droht. Aber dieser politische Reifungsprozess dauert wohl noch lange …
h) „Eine andere Welt ist nötig.“ Ja, das wissen wir schon lange. „Eine andere Welt ist möglich.“ Das haben Marx, Engels, Lenin und viele ihrer Nachfolger behauptet und in die Tat umgesetzt. Weite Teile der Menschheit sind ihnen nicht gefolgt, und ihre Gegner haben mit Tricks, Propaganda und Krieg triumphiert. Im neuen Zeitalter des globalisierten Kapitalismus, seit 1990, nehmen die Probleme der Menschheit nun aber wieder zu statt ab, exponentiell und vielleicht sogar irreversibel (Kap. 30). Die politische Vernunft rät daher zu einem zweiten Anlauf, um der Menschheit eine weitere Chance zu geben. Eben: Eine andere Welt ist nötig.
Wie denn? Moderner, intelligenter Sozialismus ist machbar. Vietnam beweist das. Diese Einsicht wird auch theoretisch untermauert: http://www.helmutdunkhase.de/haupt.pdf. Sozialistische Ökonomie ist möglich auf der Basis der Arbeitszeitrechnung. Sie hat radikale egalitäre und demokratische Konsequenzen – also das, was die politische Vernunft will.
Voilà !!
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