TEILEN

45. Meine Prognose: entweder radikaler Systemwandel oder Verlust dessen, was das Mit- und Ur-Menschliche und das Lebenswerte ausmacht. Die kalten Science-Fiction-Games nehmen diesen Verlust vorweg – ausser wir geben energisch Gegensteuer.

a) Der fast vergessene österreichische Philosoph Günther Anders (1902-1992) prophezeite in seiner Antiquiertheit des Menschen I und II (1956 und 1980) den Verlust der Seele in der 2. und 3. Industriellen Revolution. Science Fiction zeige, was realiter auf uns zukomme; die in solchen Romanen und Filmen gezeigten Menschen seien die künftigen Menschen; Technik (z.B. die Atombombe, Fliessbänder, Roboter, Games, Cyborgs) verändere die Seele, lasse die Humanität absterben.

b) Ich bin nicht sicher, ob die Humanität oder Menschlichkeit im engeren, normativen Sinn am Absterben ist. Anzeichen dafür erblicke ich allerdings im Zukapseln der Ohren und Fokussieren ihrer Bildschirme, wo immer jüngere Menschen unterwegs sind. Das Problem dabei ist nicht, dass sie das Singen der Amseln verpassen und das Heranbrausen eines gefährlichen Autos überhören, sondern dass sie dabei stets anderswo sind als am Ort, wo sie sich physisch aufhalten: sie sind im Konzertsaal, bei Freunden, im Chat-Room, in Kriegs- und anderen Spielen, auf der Suche nach Pokémons, auf Porno-Seiten, am Arbeitsplatz usw. Das führt meines Erachtens dazu, dass das Geschehen um sie herum zweit- oder drittrangig wird und dass auch dieses zum Spiel, zur Bühne verkommt. Ich befürchte, dass ein Junge vor lauter Kriegsspielen (Battlefield1 = der 1. Weltkrieg macht Spass, 20Min. 27.10.16 S.26) den Unterschied nicht mehr wahrnimmt – bis er von einem anderen Spieler niedergestochen wird und Blut fliesst; dann ist es plötzlich ernst, und er erwacht – vielleicht im Spital.

c) Übertreibe ich da? Dann gibt’s Entwarnung, ich versprech’s.

Wenn nicht: Extrapoliert auf den ganzen Planeten könnte dieses Phänomen ein Teil der Erklärung dafür sein, dass wir dieses dekadente westliche System wider besseres Wissen aufrechterhalten, ohne es ernsthaft in Frage zu stellen oder gar ersetzen zu wollen. Schon die monotheistischen Religionen sagen uns: Dies hier ist nicht die einzige Wirklichkeit, und nicht mal die wichtigste, die kommt erst nach dem Tod. Und jetzt sagen die Games und virtuellen Räume: Dies hier um dich herum ist nicht die einzige Wirklichkeit, das ist ein Spiel, eines von vielen, von vielen virtuellen, das musst du nicht so ernst nehmen. Die Quantenphysik lehre, so erzählen die Halbgebildeten, dass unsere Wahrnehmung eine Illusion sei. Elon Musk lebt in der Matrix. Und moderne Gurus sagen uns: Alles ist gut, so wie es ist, du musst nur mit integraler Brille darauf schauen, wie Buddha. Folgerichtig sind solche Menschen für das Durchschauen unseres Polit-Systems nicht zu haben und schon gar nicht für dessen Überwindung. Im pausenlosen Erreichbar-Sein und Berieselt-werden („Generation Stress“, „Generation Z: viel Geld und Glamour!“) bleibt keine Musse für Besinnung auf das Wesentliche und schon gar nicht für dessen Weiterentwicklung. Partys, Chat-Rooms, Facebook, Instagram, Netflix & Co. sind wichtiger …

Dabei hast du nur dieses eine Leben, nachher ist nix. Du hast viel Zeit, aber keine Zeit zum Vergeuden.

d) Wohlgemerkt: Ich spreche hier von der Regel, nicht von der Ausnahme. Zu dieser gehören, wenn’s hoch kommt, ein paar junge Linke und Grüne. Auf diese richtet sich denn auch meine Hoffnung. Wohlgemerkt: nicht für mich und mein Leben, für sie und ihr Leben – sofern sie an Format zulegen und ihren Wirk-Radius ausweiten (vgl. Kap. 50).

e) Und ich spreche nicht von der Abschaffung moderner Technologien und Rückgängig-Machen der 4. industriellen Revolution, ich bin im Sinne des Herrn Anders kein Maschinenstürmer. Sonst hätte ich diese 50 Essays nicht ins Netz gestellt, sondern zwischen Buchdeckel. Ich wünsche mir und spreche von

Polit-Kompetenz,

welche die kommenden Generationen befähigt, ihre Zukunft zu leben statt von ihr gelebt zu werden.

TEILEN
Warning: A non-numeric value encountered in /home/httpd/vhosts/mediation-rudorf.ch/wir-papageien.ch/wp-content/themes/Newsmag/includes/wp_booster/td_block.php on line 997