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a) Zwangloses Füreinander im weitesten Sinn und auf allen wichtigen Feldern des Menschseins, das ist, abseits von aller Polemik, Sozialismus. So verstanden ihn seine Väter und Mütter:

  • Thomas Müntzer war ein früher Anhänger Luthers. Im Gegensatz zu diesem stand er aber für die gewaltsame Befreiung der Bauern und betätigte sich in Mühlhausen, wo er Pfarrer in der Marienkirche war, als Agitator und Förderer der Aufstände. Dort versuchte er seine Vorstellungen einer gerechten Gesellschaftsordnung umzusetzen: Privilegien wurden aufgehoben, Klöster aufgelöst, Räume für Obdachlose geschaffen, eine Armenspeisung eingerichtet. Seine Bestrebungen, verschiedene Thüringer Bauernhaufen zu vereinigen, gelangen jedoch nicht. Im Mai 1525 wurde er gefangen, gefoltert und gehängt.
  • Friedrich Hegel
  • August Bebel
  • Karl Marx, Friedrich Engels
  • Wladimir Iljitsch Lenin
  • Nadeschda Krupskaja, Lenins Frau
  • Klara Zetkin, Rosa Luxemburg, Hannah Arendt, auch Leonhard Ragaz (aber mit der Einschränkung von Kap. 7g)
  • John Stuart Mill, Emile Durkheim, Max Weber, Joseph Schumpeter und viele andere.

b) Winston Churchill pflegte zu sagen: „Wer mit 20 nicht Sozialist wird, hat kein Herz. Wer es mit 40 immer noch ist, hat keinen Verstand.“ Ich aber sage euch: „Wer mit 60 nicht wieder Sozialist wird, hat kein Gewissen.“

Meines Wissens hat es in der Menschheitsgeschichte keine kräftigere politische Vision gegeben als den Sozialismus. Das Christentum ist zwar kräftiger, aber eine religiöse Vision, und ausserdem liegt es, soweit es irdisch ist, haarscharf neben dem Sozialismus. Der Kapitalismus ist keine Vision, sondern das Laisser-faire der Gierigen, haarscharf neben dem Liberalismus. Kräftig nenne ich die Vision des Sozialismus, weil sich für keine andere politische Strömung so viele gescheite Männer und Frauen so lange, hartnäckig und selbstlos eingesetzt haben wie für ihn. Zu diesem Schluss komme ich natürlich nur, indem ich alle Polemik, die gegen ihn geifert, weglasse, insbesondere alle Lügen und Verdrehungen, denen ich im Kalten Krieg und seither begegnet bin und gegen die ich in diesen Essays angeschrieben habe.

c) Der in diesem Sinn entschlackte Sozialismus darf in vielen Spielarten einer Vision gedacht werden. Gebildetere als ich haben dazu ganze Bibliotheken vollgeschrieben. Auf was es mir hier ankommt: Wir brauchen keine Alternativen dazu, auch keine Kompromisse. Der Begriff, die Vision, ist weit und durchlässig, kann vieles integrieren (z.B. den säkularen Humanismus), sie kann in aller Munde sein, ohne Grabenkämpfe. In einer Welt, die gleichsam wieder auf Feld 1 beginnt, müssen sich die neuen Mächtigen, damit sie sich nicht wie bisher verzetteln, auf einen starken und weiten Begriff einigen. Antikapitalistisch ist zu eng und beinhaltet ein unnötiges Feindbild. Ein dritter Weg schliesst aus statt ein, hatte und hat keine Kraft. Neo-Marxismus ist elitär und schwerfällig. Kommunismus ist belastet und unmöglich: Jedem nach seinen Bedürfnissen funktioniert nicht. Jedem nach seiner Leistung, ergänzt durch soziale Fürsorge für die nicht Leistungsfähigen, funktioniert: China z.B. erlaubt den Leistungsfähigen, reich zu werden wie im Kapitalismus, aber die dem Sozialismus verpflichtete Staatspartei behält sich die Oberhoheit vor über den Machtapparat und die Wirtschaft, über die Güterverteilung und die Kultur, über die Ressourcen und deren Nutzung. Chinas Modell scheint dem der USA, der EU und dem Russlands überlegen.

d) Mir ist wichtig, dass vor allem einmal unterschieden wird zwischen dem Polit-System mit privatwirtschaftlich organisierter, Gewinn-orientierter Militär-Industrie (USA, EU und Trabanten) und einem Polit-System, dessen Rüstungsindustrie nicht vom privaten Gewinnstreben angetrieben wird. Mit der Verstaatlichung der Militär-Industrie ist schon viel gewonnen, verschwindet deren mächtige Lobby und wird der Weg frei zum Einfrieren oder besser zum Senken der Rüstungsausgaben, zum Beenden des Wettrüstens, zum Umlenken von jährlich z.B. 600 Mia. $ der USA in zivile Zwecke. Unrealistisch? Das ist sicher die falsche Frage. Die richtige lautet: Stimmt die Ausrichtung? Ja! Also: Was gibt es zu tun? Und wieso zögerst du? obwohl du dich Christ nennst?

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Krisen und Kriege gab es in der Geschichte der Menschheit schon seit eh, so weit diese erforscht ist. Die Römer bekämpften die Gallier auch ohne Lobby-Arbeit eines Military Industrial Complex. Aber vor dessen Entfaltung gab es auch lange Friedenszeiten, während Jahrzehnten. Das gibt es seither nicht mehr, irgendwo ist immer Krieg, und zwar u.a. wegen des Drucks der genannten Lobby. Da hilft nur eines: ihr den Boden entziehen.

e) Mit der Verstaatlichung der Militär-Industrie ist ein Staatswesen noch lange nicht ein sozialistisches, noch nicht einmal ein soziales. Dazu braucht es einen Paradigma-Wechsel vom Ich-Denken zum Wir-Denken. Diese neu-alte Ethik wird am ehesten verkörpert durch den Evolutionären Humanismus, dieser wiederum vertreten durch die Giordano Bruno-Stiftung und deren Sprecher Michael Schmidt-Salomon. Eine solche Ethik will an die Stelle der zehn Gebote und christlicher Barmherzigkeit zehn Angebote setzen. Diesen Normen als neuer Leitkultur kann der moderne Sozialismus sicherlich zustimmen, können wohl alle Strömungen weltweit, die sich im umfassenden Sinne sozialistisch nennen, zustimmen. Der so verstandene Sozialismus ist dann ein Oberbegriff und steht dem westlichen Raub-Kapitalismus neoliberaler Prägung gegenüber. Einen „dritten Weg“ wie zu Zeiten von Ota Šik braucht es nicht; er würde alle Bestrebungen schwächen, den heutigen westlichen Kapitalismus zu überwinden.

f) Dazu gehört auch die Verstaatlichung von Wirtschaftszweigen, welche sich Menschen- und Umwelt-schädlich verhalten und sich erst noch in die Politik einmischen. Mit der Einsitznahme grün-linker Kader würde das Hinterherrennen aufhören, welches die gegenwärtige Reform- und Reförmchen-Politik kennzeichnet und in welchem sich grün-linke Parteien bis zur Resignation aufreiben. Mit dem klaren Bekenntnis, dass es keinen dritten Weg braucht, sondern nur die radikale Abkehr vom pseudo-liberalen Wursteln, würde auch das unwürdige Gerangel aufhören, welche Staatsquote denn bitte schön angemessen sei. Die früheren staatstragenden Parteien in Mitteleuropa haben sich ja angesichts links-grüner Erfolge in den Kommunen zu staatsbekämpfenden Populisten gemausert; man kann sie auch Staatsfeinde oder Schlechtmenschen nennen: starke Armee und Polizei und Stacheldraht gegen Brüssel und Flüchtlinge, schwache Fiskal-Ämter und Sparen bei allem, was auch nur entfernt nach Sozialstaat riecht. Die Abkehr davon wird nur von Strömungen geschafft, die sich in umfassendem, entschlacktem Sinn als Sozialisten bezeichnen, indem sie Durch- und Weitblick beweisen und grosses Format.

Diese Anregungen hier richten sich vor allem an engstirnige Männer. Frauen sind mitgemeint.

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