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11. Der Ostblock / Russland: militärisch, wirtschaftlich, ideologisch, propagandistisch umzingelt. Der erste und der zweite Kalte Krieg. Der Ukraine-Krieg.

 

Meine Sicht ist nicht „die Wahrheit“. Aber wenn das politische Propaganda-Schiff allzu sehr auf eine Seite kippt, eile ich an die andere Reling und halte dagegen.
Ich weiss natürlich, dass alles viel komplizierter ist als hier geschildert. Aber die Eckpfeiler in diesem Essay, die stimmen. Alles hier ist fundiert und nachprüfbar: Wikipedia, Google u.a. Wer eine Quelle vermisst, möge mir schreiben. Auch Widerlegungen sind willkommen.
Im ersten Kalten Krieg (1945–1990) und jetzt im zweiten (Ukraine, seit 2014) ist ein Propaganda-Tsunami über uns hereingebrochen, gegen den ich anschreibe. Als Mediator (Vermittler) ist es meine DNA, beide Seiten zu verstehen, mich mit Empathie (nicht zu verwechseln mit Sympathie) in ihre Lage zu versetzen, innen wie aussen. Wer das nicht kann oder nicht mag, sollte nicht weiterlesen. Er/sie möge weiterhin der Propaganda des eigenen Lagers glauben, sie für wahr halten („nur das andere Narrativ, die gegnerische Version ist Propaganda, meine nicht“) und möge den Satz ignorieren: „In jedem Krieg herrscht Kriegs-Propaganda.“
Empathie heisst, genau zuzuhören und sich vom Gehörten berühren zu lassen, bevor sich reflexartig Entgegnungen melden. Wer das nicht kann oder nicht mag, sollte nicht weiterlesen.
Im kollektiven Westen, von Kalifornien bis Warschau, ist das westliche Narrativ der „christlich-abendländischen Werte“ und der zumeist weissen Überlegenheit (siehe Kapitel 3+4: <Wir sind oben>) allseits bekannt. Ich brauche das nicht zu wiederholen, sondern verweise auf den sog. Mainstream, die übliche Einseitigkeit. Was hier folgt, stammt von der anderen Reling.
Hierzulande wird die Meinungsvielfalt hoch gelobt. Sorry, aber ich lese täglich nichts als Meinungseinfalt … Mal sehen, ob mir jemand widerspricht.

A. Der erste Kalte Krieg,

eben: 1945-1990 (vom Ende des 2. Weltkriegs bis zum Fall der Berliner Mauer und zur Auflösung der Sowjetunion)

a) Nach dem 2. Weltkrieg gingen die drei Siegermächte USA, UdSSR und Grossbritannien (ohne Frankreich) daran, die politische Landschaft neu zu organisieren. Den grössten Aderlass hatte die Sowjetunion zu verkraften: +/- 10 Mio. Tote und 23 Mio. Verwundete der Roten Armee, 6 Mio. tote Zivilisten, bei einer Einwohnerzahl 1939 von 190 Mio. Ihr Land diesseits des Urals war verwüstet, die Industrialisierung um Jahre zurückgeworfen, die Gesellschaftsordnung erschüttert, die Autorität der Partei gefährdet. Die UdSSR hatte nur ein Ziel: Nie wieder Krieg! Vor allem: nie wieder Krieg aus dem Westen. Stalin versuchte an den Konferenzen in Teheran (28.11.-1.12.43), Jalta (4.-11.2.45) und Potsdam (17.7.-2.8.45) eine Nachkriegs-Ordnung zu erreichen, die diesem Ziel diente: Entnazifizierung und Entmilitarisierung Deutschlands, Aufteilung in vier dem Frieden verpflichtete Besatzungszonen, territoriale Neuordnung in Osteuropa im Bereich Deutschland-Polen-UdSSR – und Gründung der Vereinten Nationen als (einziges) friedenssicherndes Instrument. Er wollte die Kriegsallianz in ein Friedensbündnis überführen, unter Definition von Einfluss-Sphären. Was er nicht wusste, aber in den folgenden Monaten und Jahren zu spüren bekam: Das politische Establishment der USA, welche zur stärksten Macht der Welt aufgestiegen war und die Atombombe besass, hatte, im Verbund mit Churchill (vgl. Kap. 10), längst beschlossen, Deutschland zu re-industrialisieren und zu re-militarisieren, um es zum Bollwerk gegen Russland zu machen – was in der Folge gelang: Truman-Doktrin, Marshall-Plan/OEEC (16.4.48), Montan-Union, WEU, EWG, NATO (4.4.49), politischer Schulterschluss in Westeuropa mit der Bundesrepublik (8.5.49), Bundeswehr ab 1950, Eintritt in die NATO (5.5.55), Hallstein-Doktrin 1955, Verbot der KPD 17.8.56 – alles vor den entsprechenden Schritten in Osteuropa (Kominform, Reparationen, COMECON/RGW 25.1.49, DDR 7.10.49, Warschauer Pakt 14.5.55, Eintritt der DDR 28.1.56).
Allein schon diese Reihenfolge beweist den in Washington und London geplanten Schulterschluss der Westalliierten samt Westdeutschland gegen die Sowjetunion. Dieser entsprach ja dem Ziel des Roll-back, also des Zurückrollens des sowjetischen Machtbereichs und Einflusses in Europa und den angrenzenden Regionen, das Ziel Churchills und Trumans. Sie fanden in Konrad Adenauer einen willfährigen Vasallen: Am 15.9.51 forderte die Volkskammer der DDR, die er verächtlich Ostzone nannte, gesamtdeutsche freie, gleiche und geheime demokratische Wahlen, unter Zusicherung der Presse- und Organisationsfreiheit. Der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Ernst Reuter, wollte dieses Angebot ernst nehmen. Aber Adenauer nannte es ein rein taktisches Manöver und lehnte es ab (Chronik S.756). Er hatte ja bereits die Gründung der Bundeswehr vorbereitet und wollte sie in die NATO einbringen.
b) Wenn es andersrum geplant gewesen wäre, was mir in meiner Jugend erzählt wurde, dass nämlich Stalin und seine Nachfolger ganz Europa und dann die ganze Welt kommunistisch machen wollten, dann wäre die obige Reihenfolge anders. Diese beweist also, dass Stalin in der Nachkriegs-Zeit nur das eine wollte (im Unterschied zu Trotzki): den Sozialismus in einem Land bzw. in einem Block, als Bollwerk gegen westlichen Militarismus und Revisionismus. Das State Department hingegen empfahl im April 1950, acht Wochen vor dem Korea-Krieg, gestützt auf ein Memorandum des National Security Council (NCS 68), gegenüber der Sowjetunion und China eine Politik mit kühner Angriffsfreudigkeit (bold aggressiveness, Matthias S.149). Man kann das in der Tat Militarismus nennen – das Gegenteil der Bergpredigt.
c) Doch der Westblock vertraute diesen Fakten aus Moskau nicht, ja durfte ihnen nicht trauen, aus mindestens zwei tiefsitzenden Gründen: Die enorm gewachsene und auftragshungrige Rüstungsindustrie verbündete sich mit den Roll-back-Strategen. Und es durfte schlicht nicht sein, dass sich ein grosser Ostblock dem westlichen Zugriff auf Rohstoffe und Märkte entzog, und dazu noch in einer Wirtschaftsform, die vielleicht produktiver war als die eigene und die sich für den Rest der Welt als attraktiv darstellte: sie kam ohne koloniale Plünderung aus und hatte sich der internationalen Kooperation verpflichtet statt mörderischem Wettbewerb. Die Roll-back-Strategen mit Churchill und Truman als Galionsfiguren riefen daher zum Wettbewerb der Systeme auf und zum Wettrüsten: der Westen unter Führung der englischsprachigen Nationen musste die Oberhand erlangen und behalten (die Gegenwart lässt grüssen). Dieser strategische Entscheid bedingte vielerlei:
  1. Der Sowjetblock und das China unter Mao musste als militärisch stärker dargestellt werden als real vorhanden, um gegenüber der eigenen Bevölkerung das Aufrüsten als Nachrüsten zu rechtfertigen – bei gleichzeitiger Einkreisung dieses Blocks mittels eines weltumspannenden Netzes von Militärstützpunkten, Raketenbasen und waffenstrotzenden Flottenverbänden. Das Gleichgewicht des Schreckens begann, begleitet vom Wettbewerb im All. Die NATO operierte verdeckt und brutal auch in Europa, um der befürchteten östlichen Subversion zuvorzukommen (vgl. Ganser, NATO-Geheimarmeen in Europa, Zürich 2008).
  2. Der eigene Way of life musste als attraktiver erscheinen. Die Metropolen wurden herausgeputzt als Schaufenster, auch wenn die Peripherien der westlichen Hemisphäre verlottert blieben. Die Leistung der Industrie war stark dank vorbestandenem Know-how und lukrativ belohnten Innovationen, während die Löhne der Produktivkräfte mittels Einschüchterung der Gewerkschaften moderat blieben zugunsten der Gewinne der privaten Eigentümer. Die Kaufkraft der urbanen Bevölkerung wuchs stärker als im Osten, genährt durch Transfer aus den Kolonien, durch Potentaten-Gelder und Bankgeheimnisse, zudem wegen krass ungleicher Startbedingungen (vgl. Kap. 16/17). Die Soziale Marktwirtschaft verhinderte das Massenelend der Vorkriegszeit, v.a. aus Konkurrenzangst vor der sozialen Sicherheit im Osten. Das Warenangebot im Westen war ungleich grösser als im Osten: die Hausfrauen z.B. konnten unter 20 Waschmitteln wählen, während die Frauen in der DDR nur eines kaufen konnten – ein sehr gutes allerdings, wie mir beteuert wurde. Und die westliche Propaganda verwies auf die Reise- und Niederlassungs-Freiheit: die Mittelmeer-Küste war attraktiver als diejenige am Schwarzen Meer und der Ostsee usw.
  3. Der ideologische Überbau war das Hohelied der Freiheit, insbesondere der Wirtschafts-, Eigentums- und Reise-Freiheit, gekoppelt mit Tradition, Religion und sog. abendländischen Werten sowie der Abwertung des östlichen Modells als Totalitarismus, Diktatur, Knechtschaft und Bonzen-Klüngelei. Die freien Wahlen zwischen Parteien wurden zum Synonym des Westens, die Wahl unter Kandidaten innerhalb der Einheitspartei zum Synonym von Diktatur. Die Meinungs-Diktatur im Westen war Ausdruck der Freiheit, diejenige im Osten war, ja eben: Diktatur.
  4. Gekrönt wurde der Wettbewerb der Systeme mit wirkungsvoller Propaganda, gegen die ich hier anschreibe: mit Kriegs-Propaganda, denn der Westen hatte ja dem Osten den Kalten Krieg erklärt. Dazu gehörte das stete Einhämmern der Vorteile des eigenen Systems und der Nachteile des andern, bis hin zu Lügen, Verdrehungen, Dämonisierungen und völlig einseitiger Darstellung von allem, was politisch geschah, in West-Deutschland v.a. durch die Springer-Presse. Dazu gehörte auch die Lobpreisung des American Way of Life: Hollywood (welches, soweit mir bekannt, die Schlacht um Stalingrad nicht verfilmte, wohl aber The Longest Day), der Western stach jeden Eastern aus, Englisch (wie von Churchill erträumt) wurde die neue Weltsprache (okay!), Pin-up-Girls allüberall, Autofahren auch (happy motoring!), verschwenderischer Umgang mit den Ressourcen ebenso. Dazu gehörte schliesslich die Marginalisierung von beschämenden Nachrichten über die Rassentrennung und die Kolonien samt deren (erbittert bekämpften) Befreiungsbewegungen, bis hin zur rassistischen Abwertung der Farbigen und der Blockfreien – noch heute in den USA gang und gäbe (Donald Trump).
d) Das alles ist gespeichert in der Erinnerung der Zeitzeugen. Aber die wenigsten wissen, dass der Kuba-Krise 1962 (Stationierung sowjetischer Atomraketen auf dem kommunistischen Kuba, Einigung zwischen Kennedy und Chruschtschow am 29.10.62) die Stationierung von atomwaffenbestückten Jupiter-Raketen in der Türkei vorausgegangen war, welche die Sowjetunion mit denkbar kurzer Vorwarnzeit bedrohten – also wiederum eine adäquate militärische Antwort der UdSSR und Kubas (Schweinebucht!) auf eine provokative militärische Umzingelungsaktion seitens der hegemonialen USA. Es war Chruschtschow, nicht Kennedy, welcher mit dem Abzug seiner Raketen aus Kuba zugunsten der friedlichen Koexistenz nachgab, während die USA nur gerade ihre Jupiter-Raketen aus der Türkei abzogen, nicht auch aus weiteren Ländern in der Nähe Sowjetrusslands, z.B. aus der BRD … Übrigens gab es nach kubanischer Zählung 638 Attentate auf Fidel Castro, der CIA gab bisher acht eigene Mordversuche zu. Das Attentat auf Kennedy wurde nicht von Kubanern verübt …
Die Sowjetunion und China waren bereits 1950 umzingelt von Militärbasen der USA, und es wurden im Laufe des Kalten Kriegs immer mehr. In ihrer Hysterie gegen die kommunistischen Staaten griffen die USA zum fiesesten Trick der Kriegsführung, zur bewussten Lüge über einen Anlass zur Aggression. Ein besonders krasses Beispiel ist der Tonkin-Zwischenfall vom 2./4.8.64, welchen die USA zum Anlass nahmen, über Nordvietnam mehr Bomben abzuwerfen als im 2. Weltkrieg auf Deutschland. Das Ziel war, Nordvietnam „in die Steinzeit zurückzubomben“, nur weil es angeblich mit Schnellbooten im Golf von Tonkin zwei US-Kriegsschiffe beschossen habe, „ohne Anlass“. 1971 deckte Daniel Ellsberg in seinen Pentagon-Papieren die amtliche Darstellung als bewusste Falschinformation auf, und der damalige Verteidigungs(!)minister McNamara gab das in seinen Memoiren 1995 zu, nachzulesen im Buch von Eric Alterman 2004: When Presidents Lie. Die Auswirkungen dieser Lüge waren grösser als diejenigen über die ebenfalls erlogenen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins 2003. Sie führte dazu, dass die USA über ihre Kriege konsequente Geheimhaltung anordneten, was wiederum Wikileaks und die NSA-Enthüllungen zur Folge hatte. Die US-Justiz verfolgt Julian Assange und Edward Snowden und wird sie exekutieren. Dazu fehlt ihr indessen jede Legitimation; auf Geheimhaltung haben die Präsidenten und ihre Diener nicht das geringste Recht, denn sie ernähren sich ja von den Steuern des ahnungslosen Volkes, dem sie ihre Machenschaften verschweigen wollen. – Die USA haben Vietnam übrigens nie um Verzeihung gebeten für ihre ungeheuerlichen Verbrechen in diesem Land, nie Reparationen bezahlt, im Gegenteil: General Westmoreland (1914-2005; welch sinniger Name!) wurde mit mindestens 25 Orden überhäuft, statt dass man ihn vor ein Kriegsverbrecher-Tribunal gestellt hätte (vgl. Kap. 20) .
Und was lange geheim war: die NATO unterhielt in Europa zahlreiche verdeckt operierende Armeen, gelenkt vom CIA und dem britischen SIS/M16. Diese verübten u.a. grausame Attentate und schoben sie den Kommunisten in die Schuhe, um die Linke bei Wahlen zu diskreditieren und zu schwächen:
e) Wer diese wenigen Beispiele extrapoliert und auf die Zeit des Kalten Kriegs zurückschaut, stimmt mir vielleicht zu, dass nicht der Westen von der kommunistischen Machtergreifung umzingelt und bedroht war, sondern umgekehrt, und zwar auf allen Gebieten. Ein Beispiel mag noch der NATO-Doppelbeschluss vom 12.12.79 sein. Er zeigt deutlich, dass die UdSSR weniger und nicht mehr Atomwaffen wollte, während die USA auf- statt abrüsteten und damit den Osten zum Mithalten zwang. Die NATO-Abschreckungsstrategie wurde übrigens am 8.7.96 mit einstimmigem Beschluss des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag für illegitim erklärt. Aber das war nach dem Kalten Krieg, als das östliche System, von der NATO zu Tode gerüstet, aufgab (vgl. Kap. 26), aus Angst und Schreckstarre. Glasnost und Perestroika waren nicht so attraktiv wie volle Regale und Adria-Ferien, und der westliche Whisky für Boris Jelzin tat sein Übriges: Der American Way of Life hatte gewonnen! Es war wie bei einer Baustelle: Die Zahl der Gaffer und Kritiker wuchs, die der fleissigen Arbeiter nahm ab, bis auch diese die Seite wechselten …
Weil Gorbatschow den westlichen Beteuerungen auf Äquivalenz glaubte, veranlasste er am 1.7.91 die Auflösung des Warschauer Paktes – was im August 1991 zum Putsch gegen ihn führte und letztlich zur Auflösung der Sowjetunion. Entgegen jenen Beteuerungen gibt es die NATO aber noch heute, und sie führt weltweit Kriege, weit ausserhalb des Nordatlantiks. Dabei hatte sie sich am Gipfel in Lissabon am 20.11.10 ausdrücklich zur Abrüstung verpflichtet. Ein halbes Jahr später inszenierten die USA den bewaffneten Aufstand gegen den Präsidenten Syriens, in Afghanistan war der Krieg heftig, und jetzt ist ein neuer Bösewicht gefunden, der (früher von den USA aufgerüstete) IS, mit US-Militärpräsenz im Süden Russlands. Dessen Umzingelung durch die NATO geht in die nächste Runde. Im Westen Russlands hat sich die NATO schon bis an seine Grenze erweitert.
Die Auftragsbücher der Rüstungsindustrie sind voll. Die Steuerzahler ächzen.
Wer dieses Kapitel liest, vermisst vielleicht, dass ich über die östliche Politik nichts Vergleichbares erwähne. Warum? Solches war in der Tat meist nur eine Re-Aktion auf westliches Verhalten. Der Medien-Mainstream ist für mich ein Schiff mit Schlagseite, und ich begebe mich (mit Fakten und fundierten Meinungen) an die andere Reling, um die Schlagseite ausgleichen zu helfen.

B. Der zweite Kalte Krieg

seit 2001 (<9/11>, Krieg gegen den Terrorismus) und spätestens seit 2014, Gegenwart (heisser Krieg in der Ukraine und gegen Russland)

a) Um die heisse Phase des 2. Kalten Kriegs besser (als im Mainstream) zu verstehen, sind einige Basics wichtig:

1. Im westlichen Politik-System des Privat-Kapitalismus ist das Streben nach Gewinn die Triebfeder des Wirtschaftens. Ist die Waffen-Herstellung in privaten Händen, so sind die Aktionäre an Feindbildern, Krisen und Kriegen interessiert (Beinahe-Kriege genügen), denn das bringt Umsatz, Gewinn, Dividenden und Börsen-Gewinne. Christliche Ethik („Liebet eure Feinde!“) stört das Geschäft. Die privatwirtschaftliche Rüstungsindustrie mit ihrer riesigen Lobby ist mitsamt ihren Zulieferern ein Hochverrat an christlichen Werten, ist die Eiterbeule des Kapitalismus. Dieser erlebt gerade eine Hochblüte, insbesondere die Waffen-Industrie. Deshalb sind pro-aktive Friedenspolitik oder gar Abrüstung in den USA und der EU lächerliche Fremdwörter (siehe Kap. 39). – Ganz anders ist das, wenn sich die Rüstungsindustrie im Besitz des Staates befindet, in Russland und China. Dann entfällt der Anreiz der Gewinn-Ausschüttung. Friedenspolitik und Abrüstung haben eine Chance. Feindbilder, Krisen und Kriege sind für das Wohlbefinden der vermögenden Klasse nicht nötig, das Leben an sich genügt. –Nochmal anders verhält es sich, wenn sich das erste System zwecks Umsatz-Steigerung der Rüstungsindustrie auf das zweite stürzt. Dann wäre dessen Abrüstung fatal …
2. Seit 150 Jahren kämpft das Politik-System des Kapitalismus (privates Wirtschaften zwecks Gewinn) um sein Überleben, trotz massiver Kollateralschäden (siehe Kap. 29). Um 1990 hat es seinen ärgsten Feind, den Sozialismus/Kommunismus, zum Aufgeben gezwungen (siehe Kap. 26) – Ausnahme: die Volksrepublik China. Die politische Ausrichtung dort heisst: BREITER WOHLSTAND. Dieses Land ist deshalb der Feind Nummer 1 des von den USA angeführten Westens. Chinas strategischer Partner Russland muss vor dem Krieg gegen China soeben noch massiv geschwächt werden …
3. Der Siegeszug des Kapitalismus hat nicht zu einer friedlichen, allseits prosperierenden Welt geführt, im Gegenteil: Die Ungleichheit, die Probleme und Krisen nehmen zu statt ab (siehe Kap. 30). Das ist es, was mich heftig enttäuscht. Ich weiss nämlich, wie eine bessere – nein, eine wirklich gute Welt aussähe … (siehe Kapitel 45-50). Sie wäre multi-polar, auf Gleichwertigkeit ausgerichtet, friedfertig, heiter, optimistisch.
4. Das Politik-System des Kapitalismus hat sich politisch und militärisch in der NATO organisiert und agiert weltweit, nicht nur im Nord-Atlantik – zerstörerisch, tödlich. Die USA sind seit 1945 für Millionen von Toten verantwortlich, Russland und China nicht. Um ihre uni-polare Vormachtstellung zu halten und auszubauen, steht dem US-Ausland-Geheimdienst CIA ein jährliches Budget von 100 Milliarden US$ zur Verfügung. Hinzu kommen die Geheimdienste der anderen Mitglieder. Was bezahlen sie wohl damit?
5. Am Ende des 1. Kalten Krieges versprachen die Spitzen der Westmächte denjenigen des Ostblocks die Auflösung der NATO im Gegenzug zur Auflösung des Warschauer Pakts. Letzteres geschah, das andere nicht.
6. Die Spitzen der NATO versprachen der Spitze Russlands 2001, sich nicht nach Osten auszudehnen, nicht näher an die Westgrenze Russlands. Das Gegenteil geschah:
Neueste Beitritts-Kandidaten sind Schweden und Finnland – und eben: die Ukraine.
7. Diese ist das nunmehr wichtigste Teilstück der Umzingelung Russlands. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war die Ukraine immer noch pro-russisch regiert. Auf der Halbinsel Krim, russisch seit Katharina der Grossen, Gründerin z.B. von Odessa, befindet sich via Pachtvertrag der einzige Hafen der russischen Schwarzmeerflotte mit Zugang zum Mittelmeer, in Sewastopol. Die Krim war 1954 vom Staats- und Parteichef Chruschtschow, einem Ukrainer, zwecks Grenzbegradigung der Ukraine „geschenkt“ worden – damals eine unpolitische Banalität, es war ja alles unter einem Dach vereint. Die sozialistische UdSSR war nämlich als solche der Völker-Freundschaft verpflichtet, und diese herrschte selbstverständlich auch zwischen der Ukraine und Russland. Am 11.3.22 (TagesAnzeiger S.4) tauchte überraschend ein Plakat von 1954 auf, welches die beiden Länder als verbündete Schwestern zeigt. Erst seit dem Maidan-Putsch 2014 hat die russophobe Ideologie Auftrieb, bis hin zur offiziellen Verehrung früherer NS-Kollaborateure (Stepan Bandera). – Nazi und Neo-Nazi gibt es überall. Aber nur die Ukraine widmet ihnen Denkmäler … Und sie hat jüngst die Statue Katharinas der Grossen in Odessa geschleift, weil sie eine Russin war, sie liegt jetzt in einem Schuppen! Alles Russische wird ausgetilgt, auch in den Schulbüchern: kein Tolstoi mehr, kein Sostakowitsch usw.
8. Die USA inszenierten Ende Februar 2014 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew den sogenannten Maidan-Putsch: Der pro-russische, vom Volk gewählte Präsident Janukowitsch wurde verjagt zugunsten des pro-westlichen Jazenjuk, Vor-Vorgänger des gegenwärtigen Präsidenten Selenski. Der CIA liess es sich damals von seinem Jahresbudget von 100 Mia. $ etwa sechs Mia. kosten, um diesen Putsch zu organisieren; auf den Strassen Kiews wurden Handgelder verteilt. Die pro-westlichen Gruppierungen strebten in die NATO, was den pro-russischen Bewohnern der Krim und der Ost-Ukraine/Donbass gar nicht gefiel: Donezk und Lugansk. Sie erlebten z.B., wie die Neo-Faschisten am 2.5.14 in Odessa ein Versammlungshaus anzündeten; Dutzende Gewerkschafter verbrannten.
9. Die Krim entschied sich in einer Volksabstimmung am 16.3.14 für die Sezession (Abspaltung) von der Putsch-Ukraine. Das erfolgte analog zur Abspaltung des Kosovo von Serbien 2008, was der Europäische Gerichtshof am 22.7.10 als „nicht völkerrechtswidrig“ bezeichnet hatte. Russland gab dem Ergebnis des Referendums (Wiederangliederung) am 18.3.14 statt. Seither ist die Krim als autonome Provinz wieder russisches Staatsgebiet. Die ebenfalls seit 2014 abtrünnigen Volksrepubliken Donezk und Lugansk im Donbass wurden von Russland am 21.2.22 als unabhängig anerkannt, drei Tage vor dem Einmarsch, und im Sommer 2022 nach Plebisziten in den Vielvölkerstaat <Russische Föderation> aufgenommen, ebenso die ehemals russischen Gebiete Cherson und Saporoschje.
b) Der westliche Mainstream krankt an einer tiefsitzenden Arroganz und Ignoranz: Er hält sein Narrativ, also seine Sichtweise und Meinung über die vielfältige politische Landschaft auf diesem Planeten, für die einzig richtige, gleichsam für ein Gott-gegebenes, unverrückbares Dogma, und kaum jemand innerhalb dieses Believes zieht seine/ihre Sichtweise in Zweifel. Es gilt im Gegenteil als Merkmal einer profilierten Persönlichkeit, einen „Standpunkt“ zu haben, natürlich einen christlich-bürgerlichen, der auf andere herabschaut.
Ich habe zwar auch einen, bin ein Neo-Marxist, ich bestehe aber darauf, dass das eine wissenschaftliche Analyse-Methode ist und keine Aussage darüber, welcher politische Akteur „recht hat“. Wer aber vor 2022! Russland für eine Bedrohung von abendländischen Werten hielt, der sitzt in einer Blase, die bis auf die NS-Zeit zurückgeht: „Der Feind heisst Russland.“ Eine solche Person ist für alle Argumente immun, welche den Unterschied zwischen den klar völkerrechtswidrigen Annexionen Israels (Golan-Höhen oder Ost-Jerusalem) und der völkerrechtskonformen Wiederangliederung der Krim an Russland aufzeigen, welche mit einem überdeutlichen Plebiszit zustande kam, ohne die für eine Annexion typische Waffengewalt gegen seit jeher fremdes Gebiet. Diese ignorante Person folgt dem Narrativ von der „völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland“, ein Papagei eben, und nennt die überdeutlichen Plebiszite in den neuen russischen Gebieten „Scheinreferenden“. Dieses Narrativ ist die logische Folge von Schein-Berichterstattung. Der kollektive Westen befindet sich ja im (zumindest ideologischen) Krieg gegen Russland; also sind für ihn die Plebiszite Kriegs-Propaganda. Das <Selbstbestimmungsrecht der Völker> ist jedoch stärker als die Kritik an missliebigen Volksbefragungen.
Die westliche Überheblichkeit ist so stark, dass sie alle Hebel der Macht aktiviert, auch militärische Gewalt, um der ganzen Welt die eigene Sicht und die eigenen Interessen aufzuzwingen. Die USA haben sich in ihrer Geschichte seit 1776 nur gerade 26 Jahre nicht im Kriegszustand gegen irgend jemanden befunden; zur Zeit legen sie sich mit Russland an: Waffen-Lieferungen an die Ukraine für vorläufig 27 Mia. $, Kampfpanzer und demnächst Kampfjets: „Russland darf nicht siegen!“ Und einige europäische Mächte kämpften nach dem 2. Weltkrieg blutig gegen die Befreiungsbewegungen ihrer Kolonien, bevor sie ihre Arroganz gegenüber Nicht-Weissen allmählich ablegten, zum Schein. Die Überheblichkeit gegenüber nicht-kapitalistischen Strömungen jedoch ist geblieben, obwohl die <Grenzen des Wachstums> längst erreicht sind und der Klimawandel unseren Planeten allmählich unbewohnbar macht.
Wenn dem keine Arroganz und Ignoranz zugrunde liegt, so weiss ich nicht, welche anderen Begriffe da passender wären. Die herrschenden Eliten im weissen Westen können sich jedenfalls schlichtweg nicht vorstellen, dass die Sichtweise der übrigen Menschen ebenfalls oder sogar eher vertretbar ist.
Die Jetzt-Zeit erlebt derweil gerade den Übergang von der uni-polaren zur multi-polaren Welt und Sichtweise: Die USA befinden sich im Niedergang, die Volksrepublik China im Aufschwung zur dominanten Macht – unter Führung der kommunistischen Partei. Eine nüchterne Analyse, nicht wahr? – Kommunismus ist grundsätzlich eher Kooperation als Konkurrenz.

 

c) In seiner Arroganz verweigert der kollektive Westen den Grenzverschiebungen Russlands die Anerkennung, obwohl sie von einer grossen Volksmehrheit begrüsst wurden. Das <Selbstbestimmungsrecht der Völker> (Artikel 1 der UN-Charta und des Menschenrechts-Pakts ) gilt hier nicht – nur im Kosovo oder Hawaii. Hierzulande gilt es als verwerflich und als Kriegsgrund, dass die abtrünnigen Donbass-Republiken Donezk und Lugansk mit ihren überwiegend russischen Ethnien ein anderes Narrativ hatten und haben. Sie und die Krim wollten nach dem Maidan-Putsch mit der NATO-geilen Kiewer Regierung nichts mehr zu tun haben. Statt die Sezession nun multi-polar zu respektieren, stoppte die Regierung ab 2014 die Rentenzahlungen und begann, die DVR und die LVR mit Raketen des NATO-Kalibers 155mm zu beschiessen, Tag und Nacht. Die OSZE wurde eingeschaltet, und es kam zu Waffenstillstands-Vereinbarungen: Minsk I und II. Von Alt-Kanzlerin Merkel (Interview in der ZEIT) und Ex-Präsident Hollande erfuhren wir nun aber unlängst, dass beide Garantie-Mächte sich für diese Abkommen nur engagierten, um die Ukraine in der gewonnenen Zeit massiv aufzurüsten. Die russische Führung ahnte bis dato nichts von diesem Vorbehalt und fühlt sich nun massiv betrogen. Minsk I und II wurden denn auch nicht eingehalten, die Bomben und Raketen fielen (schon vor! 2022) weiter auf zivile Ziele in den Gebieten Donezk und Lugansk, mit zehntausenden von Toten, ohne dass Berlin und Paris die Herren Poroschenko und Selenski an ihre Verpflichtungen erinnerten – im Gegenteil: Der westliche Mainstream begann sogar die Beschiessungen zu leugnen und bezeichnete sie pauschal als russische Propaganda-Lügen, seit dem russischen Einmarsch erst recht. Wozu gab es dann aber die OSZE-Beobachter und die Waffenstillstands-Gespräche? Die Friedhöfe und Gedenktafeln im Donbass wurden und werden ignoriert, ja ein ukrainisch-deutscher Reporter, der darüber berichtete, wurde sogar verhaftet. Als Anlass des Einmarschs gelten sie jedenfalls nicht, werden sogar ins Lächerliche gezogen. Wer die Beschiessungen und ihre zivilen Opfer erwähnt, gilt als „Putin-Versteher“ oder „Putin-Troll“, den man getrost in die dumme Ecke stellen und ignorieren kann, nein: sollte. Dabei sagt sogar NATO-Generalsekretär Stoltenberg neuerdings (14.2.23) nicht ohne Stolz, der Ukraine-Krieg habe nicht 2022 begonnen, sondern 2014, und die NATO-Alliierten unterstützen dieses Land seither, sprich: sie rüsten es auf – gegen wen wohl? In dieser ganzen Zeit: gegen die russische Bevölkerung im Donbass.

 

d) Der russische Präsident Wladimir Putin war vor 20 Jahren Europa-begeistert. Unvergessen ist seine Rede vom 25.9.01 vor dem Deutschen Bundestag. Er suchte Verbündete, „eroberte die Herzen“ und bot West-Europa eine wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit an. Im Zuge der Ost-Erweiterung der NATO jedoch kühlten die Beziehungen zwischen Russland und West-Europa ab (<Henne oder Ei?>), und Putin erlebte immer wieder, wie der Westen die Türe zuschlug. Schon vor 2014 wunderte ich mich, dass er alle Brüskierungen und politischen Ohrfeigen scheinbar gelassen hinnahm. Aus heutiger Sicht ist auch deren Veranlasser klar: Wozu hatte und hat der CIA ein Jahresbudget von 100 Milliarden US$? (wer’s nicht glaubt, kann es googeln) Damit lässt sich einiges kaufen, auch politisch. Die US-Politik ist seit langem daran, einen Schulterschluss zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Warum wohl? Neuestes Beispiel ist die (nur dem CIA technisch mögliche) Zerstörung der Gas-Pipelines Nordstream I und II quer durch die Ostsee, damit die Deutschen statt russischem das amerikanische Fracking-Gas kaufen müssen – sowie die Vereitelung der Aufklärung dieses Husarenstücks. Dasselbe gilt übrigens für das Attentat auf die Eisenbahn- und Auto-Brücke zwischen Kertsch und der Krim.
Dass sich Russland schon vor 2022 vom Westen abgewendet hat und seine Freundschaft nach Asien und Afrika, neuerdings auch nach Lateinamerika ausrichtet, kann nach dem riesigen Bündel von Sanktionen (schon vor 2022) niemanden verwundern – die sich übrigens samt und sonders als Bumerang erweisen. Der kollektive Westen hat sich letzteres selbst zuzuschreiben: er verarmt, allerdings nur in Europa … Rührt es daher, dass die strategischen Planer im Pentagon und im NATO-Hauptquartier kriegerische Szenarien aushecken, um an die riesigen Bodenschätze Russlands zu kommen? Weil sie mit ihrer Sanktionitis den friedlichen Handel vergeigt haben, der vorher florierte? Studien dazu sind im Netz abrufbar – Autoren: die äusserste Rechte bei den US-Republikanern. De-Kolonisierung Russlands nennen sie das.
In das Kapitel der westlichen Arroganz gehört auch die Putin vorgeworfene „Umdeutung der Geschichte“. Hierzulande erträgt es niemand, dass er schlicht ein anderes Verständnis der russischen Geschichte hat als der Westen. Warum darf er das nicht haben? Es wird immerhin vom Grossteil der russischen Bevölkerung und in vielen nicht-europäischen Eliten geteilt. Propaganda? Aber wir erliegen ja auch der israelischen Propaganda, dass das Land zwischen Mittelmehr und Jordanien „schon immer“ den Juden gehörte und deshalb von den Palästinensern geräumt werden dürfe, nein: müsse (siehe die Kapitel 21-23). Dass die neu-russischen Gebiete früher russisch waren, ist ja historisch erstellt. Entgegen der sogenannten territorialen Integrität wurden die deutsch-polnisch-russischen Grenzen mehrmals verrückt, und gut war’s, die Zeit heilte das. Das Pochen auf die <regelbasierte Ordnung> erscheint lächerlich, wenn an den Bruch aller Regeln gedacht wird, der ausserhalb des Transatlantiks täglich passiert, unter pro-aktiver Mitwirkung des kollektiven Westens, namentlich des CIA. Ich stütze mich dabei auf das Bibel-Wort: <Wer unter euch ohne Tadel ist, der werfe den ersten Stein> oder auf das Bild vom Splitter und vom Balken im Auge: Darf jemand den Bruch von (Völker-)Recht anprangern, der es selber bricht? Guantànamo und Julian Assange/Edward Snowden lassen grüssen, nicht nur Nawalny.
Erinnerst du dich noch an den Vorspann zu diesem Kapitel?

 

e) Es stimmt: Der Einmarsch der russischen Armee verstiess gegen das Völkerrecht. Und die Empörung im Westen war und ist riesig, eine wahre Hysterie, verglichen mit dem Schweigen zum Jemen-Krieg oder zum Gaza-Streifen/Palästina. Und diese Einseitigkeit ist nicht gesteuert? Ich habe mir deshalb die Frage gestellt und stelle sie auch dir: Was wäre denn die Fortsetzung in Osteuropa gewesen ohne den russischen Einmarsch am 24.2.22? Damit umschiffe ich die moralisch-hysterische Frage, ob ich den Einmarsch verurteile oder nicht.
Natürlich finde ich die Opferzahlen und all die menschlichen Tragödien in diesem Krieg schlimm, ja entsetzlich, auch die unbestreitbaren Kriegsverbrechen hüben und drüben, vor allem für die Zivilbevölkerung, aber auch für die Jungs beider Seiten in den Schützengräben und Panzern, sowie für die Flüchtlinge. Nur hilft das nicht weiter. Vielleicht hilft die Frage weiter, was denn geschehen wäre ohne den Einmarsch:
Ja, was? Die pro-westliche Regierung in Kiew hätte nicht nur den täglichen Beschuss des Donbass fortgesetzt, mit weiteren Tausenden von Toten, sondern wäre auch der NATO beigetreten. Diese hätte, gestützt auf ihre Maxime der Offenen Tür, die Ukraine mit Handkuss aufgenommen, das fehlende Teilstück in der Umzingelung Russlands. Diese Weltmacht wiederum hätte nicht verhindern können, dass vor ihrer Westgrenze ein Arsenal von (nuklear bestückbaren) Raketen aufgestellt worden wäre, auf Moskau gerichtet, wie schon im Baltikum, Polen und im Balkan, nur näher, mit Flugzeiten unter 10 Minuten. Man komme jetzt nicht mit dem grundsätzlich defensiven Charakter der NATO. War sie das in Serbien 1999, in Libyen, Afghanistan, Somalia, Irak usw.? Verdient nun die westliche Arroganz mehr Verständnis als die tiefsitzende Angst in Russland vor einem weiteren Überfall von Westen her, dem fünften seit Napoleon? Ja, der missglückte Feldzug Churchills 1920 gehört auch dazu.
Putin ersuchte Ende 2021 den Westen um verbriefte Sicherheits-Garantien – ohne Antwort. Wären sie ihm gegeben worden, international abgesichert, insbesondere seitens der UNO, der NATO und der Ukraine, dann wäre der Einmarsch mit grosser Wahrscheinlichkeit unterblieben. Verlässliche Sicherheits-Garantien sind für Russland nach seinen miserablen Erfahrungen mit dem hochgerüsteten Westen eine existenzielle Frage: Sein oder Nicht-Sein als Vielvölker-Staat. Deshalb stösst sein Einmarsch ausserhalb des kollektiven Westens auf so viel Verständnis, insbesondere bei ehemals überfallenen Ländern wie Kuba, Nicaragua, Venezuela, China, Vietnam, Nord-Korea u.a. Die russische Regierung fühlt sich insbesondere bestätigt in der erwähnten Befürchtung, weil der Westen der Ukraine neuerdings die besten erhältlichen Kampfpanzer liefert mit der erklärten Absicht, die einmarschierten Armeeteile zu besiegen und Russland militärisch und wirtschaftlich entscheidend zu schwächen. Die Warnung aus Moskau, das werde als Kriegseintritt verstanden, stösst in den arroganten NATO-Regierungen auf Unverständnis. Dabei ist doch plausibel, welchen Schrecken dort die Vorstellung auslöst: „Deutsche Panzer wieder auf russischer Erde, gesteuert von deutschen Soldaten!“ (denn die Ausbildung ukrainischer Soldaten dauert ein Jahr) … zumal die deutsche Aussenministerin Baerbock (in den USA geschult) öffentlich sagte: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland.“ Man halte sich vor Augen: Zwischen den beiden Ländern gab es nach dem 2. Weltkrieg mit rund 30 Mio. toten Russen keinen Friedensvertrag, nur einen Waffenstillstand. Hat ihn die deutsche Regierung mit der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine, welche russische Soldaten auf nunmehr russischer Erde zuhauf töten sollen, nicht gebrochen? Man erkläre das mal in der Duma, dem russischen Parlament! Dort gibt es nämlich für die Gräuel der deutschen Nazi-Truppen keine Verjährung, aber Stimmen, dass sich Deutschland mit Russland jetzt wieder im Kriegszustand befinde … Nicht alle Söhne und Enkel der Kriegsveteranen haben die staatsmännische Geduld Putins.
Analoges gilt für die etwa 30 Mia. $ der US-Militärhilfe an die Ukraine samt Panzer-Lieferungen. Die Ukraine ist wirtschaftlich und politisch völlig abhängig von den USA und der EU, ein Satellit. Ihr Staatshaushalt wird von Washington bezahlt. Und die USA und die EU wollen nicht Kriegspartei sein? Man erkläre das mal in der Duma. Deutlicher lässt sich das Auseinanderfallen der beiden Narrative nicht illustrieren. Einer der beiden Seiten fehlt es definitiv und elementar an der Fähigkeit, der anderen zuzuhören und das ernst zu nehmen. Die westliche Seite schlug denn auch alle Warnungen aus Moskau ungelesen in den Wind. Daraus lässt sich leicht schlussfolgern, dass die NATO-Oberen den westlichen Ring um Russland nicht mit defensiven, sondern mit offensiven Absichten schliessen wollen. Sonst hätten sie den in die NATO strebenden Regierungen zwischen Baltikum und Süd-Balkan erläutert, dass deren Beitrittsgesuche mit Rücksicht auf die verständlichen russischen Ängste leider nicht berücksichtigt werden können. Das wäre Friedens- statt Kriegs-Politik gewesen (siehe Kap. 39). Es ist denn auch eine Lüge von Selenski, dass Putin „schon vor dem Überfall keine Verhandlungen wollte“ (25.1.23). Er vergass einfach den Wunsch Ende 2021 nach Sicherheitsgarantien für Russland, den der Westen ablehnte. Dabei hält er sich an seinem 45. Geburtstag für den „besten Präsidenten“. Er hört auch nicht zu, wenn Aussenminister Lawrow erklärt, Russland sei offen für Verhandlungen, allerdings auf der Grundlage der territorialen Gegebenheiten JETZT!

 

f) Im laufenden Propaganda-Krieg geht es auch um Glaubwürdigkeit. Die hiesige Presse spickt zwar ihre Schein-Berichterstattung mit gehässigen Einseitigkeiten, erwähnt aber jetzt immerhin gelegentlich auch, was die russische Seite zu unbestreitbaren Ereignissen sagt, und fügt jeweils bei, das lasse sich unabhängig nicht überprüfen. Dabei gab es ein wichtiges Indiz dafür, wer eher lügt, folgendes:
Kurz nach ihrem Einmarsch besetzte eine russische Truppe das grösste Atomkraftwerk Europas, in Saporoschje südlich von Kiew. Dieses wurde danach immer wieder beschossen, auch nach dem Eintreffen des Chefs der Internationalen Atomenergie-Organisation mit Sitz in Wien. Es hiess jeweils, beide Seiten würden sich gegenseitig beschuldigen, darum könne man nicht Partei ergreifen. Im Klartext heisst das: Kiew beschuldigte die russische Armee, das Atomkraftwerk zu beschiessen, welches sie besetzt hält. Wer sich diese völlig unlogische Version vor Augen hält, für den ist klar, wer da lügt. Anfangs Oktober 2023 gab nämlich der Chef des ukrainischen Militärnachrichtendienstes, Kirill Budanow, endlich zu, dass es die ukrainische Armee war, nicht die russische, welche dieses AKW wiederholt beschoss. Und seither gilt für mich: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Das nehme ich ebenfalls an bei der verheerenden Explosion in einem grossen Wohnblock kürzlich in Dnipro, als Kiew sofort sagte, er sei von den Russen absichtlich beschossen worden, „diesen Terroristen“. Ein Berater Selenskis wagte zu vermuten, es könnte auch eine russische Rakete gewesen sein, die von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossen worden sei, ihr Ziel sei weiter westlich gewesen. Diese Version scheint mir vertretbar, zumal aus Russland sofort Beileidsbezeugungen kamen. Egal was man von diesen hält: Es scheint plausibel, dass die Rakete nicht absichtlich auf diesen grossen Wohnkomplex gezielt wurde – mit welchem militärischen Nutzen denn? – Einmal mehr ertönte aus Kiew der Ruf nach „Sieg statt Verhandlungen“. Dazu passt, dass dort ein Gesetz über die Bestrafung von Deserteuren verschärft wurde, zumal die Verluste der Ukraine sich zu denen Russlands gemäss neutralen Schätzungen wie 7 zu 1 verhalten.
Kiew fordert ein Tribunal für die russischen Kriegsverbrechen, nun unterstützt von der EU. Ich kann mir in der gegenwärtigen Hysterie nicht vorstellen, dass da ein faires Verfahren ablaufen würde, ohne politischen Druck von aussen. Würde z.B. die russische Version auch gehört und untersucht, dass ihre Bomben und Geschosse anderswo gelandet wären, wenn sich die ukrainischen Truppen nicht in Wohnhäusern, Kindergärten, Bibliotheken, Museen und Spitälern verschanzt und auf Russen geschossen hätten, entgegen dem Kriegs-Völkerrecht? Oder deren Version, dass der Beschuss ukrainischer Infrastruktur (seit dem Anschlag auf die Krim-Brücke) darauf abzielt, die Beweglichkeit der ukrainischen Truppen zu erschweren, nicht primär darauf, der Zivilbevölkerung das Leben zur Hölle zu machen? Oder das angebliche Kriegsverbrechen der abziehenden Russen in Butscha, obwohl es Bilder und Augenzeugen gibt, welche an den Leichen weisse Armbinden feststellten, Kennzeichen Russland-freundlicher Zivilpersonen? Und würden in diesem Tribunal auch die ukrainischen Kriegsverbrechen untersucht, z.B. der systematische Beschuss ziviler Ziele im Donbass seit 2014? Oder die Schreckens- und Folter-Herrschaft des Asow-Regiments in der Süd-Ukraine, welches auf den Uniformen bekenntnishaft Nazi-Symbole trägt? Auch im Donbass werden übrigens die Kriegsverbrechen der ukrainischen Armee systematisch dokumentiert, und ein Tribunal ist geplant. Wer im ignoranten Westen kümmert sich um sie?

Das Städtchen Butscha bei Kiew, mittlerweile zu einem anti-russischen Memorial hochstilisiert, ist übrigens ein signifikantes Beispiel dafür, wie man eigene Kriegsverbrechen vertuschen und dem Feind zuschieben kann: Die am 24.2.22 vom Norden der Ukraine her einmarschierenden russischen Truppenteile zogen sich Ende Februar, weil Butscha strategisch unwichtig war, zurück und überliessen den Norden der nachrückenden ukrainischen Armee, was diese mit dem Bürgermeister als Sieg feierte. Am 2. April 2022 meldete sie, die Russen hätten vor ihrer Vertreibung unter der Zivilbevölkerung ein grässliches Massaker angerichtet, ein typisch russisches Kriegsverbrechen. Der Kreml widersprach sofort: Nein, die Ukrainer hätten die Zivilisten erschossen, welche in den vergangenen Wochen mit den Russen Kleinhandel getrieben hätten, also die Kollaborateure, und verwiesen auf die WEISSEN Armbinden einiger Leichen, Abzeichen der Russland-Freunde. Diese an sich plausible Version, mit Videos belegt, wurde im scharf anti-russischen Westen nicht aufgegriffen, im Gegenteil. Der ukrainische Präsident Selenski bat die NATO-Macht Frankreich bzw. deren „Institut pour la Recherche criminelle“ (IRC) um Beweiserhebung für ein künftiges „Tribunal gegen Putin“ (AZ 27.4.23 S.2). Der Instituts-Leiter François Heulard, Oberst der Gendarmerie, pocht auf rein wissenschaftliche Methodik: „Wir stellen nur die objektiven Fakten sicher, nämlich die Getöteten zu identifizieren und die Todesursachen zu eruieren“, was er im Frühling 2022 während fünf Wochen mit 20 Gendarmen und an 200 Leichen tat. In seinem Bericht steht nichts über die Täter, dafür „sind die Richter zuständig“. – In meiner Zeitung steht über der Reportage der Titel <Mit DNA-Proben gegen Putin>. Das suggeriert Beweise für die russische Täterschaft, obwohl der wissenschaftliche Bericht von Oberst Heulard sich darüber bewusst ausschweigt, ja ausschweigen muss. – So wie meine Zeitung wird auch das von Selenski geforderte Tribunal eingestellt sein, zum vornherein, wie der gesamte sog. Werte-Westen (Aussenministerin Baerbock). Dass den abziehenden russischen Truppen jedes Motiv fehlte, ein solches Massaker anzurichten, auch ein militärisches, wird nicht ins Gewicht fallen, während die ukrainischen Truppen sehr wohl eines hatten: Russenhass, die DNA der ukrainischen Führungsschicht seit 2014.

g) Um was geht es denn der russischen Führung? Und um was geht es der NATO?
Putin sagte zu Beginn des Krieges, diese korrupte und zum Faschismus neigende Ukraine müsse „ent-militarisiert und ent-nazifiziert“ werden, damit Russland an seiner Westgrenze keine Angst mehr haben müsse. Ähnlich wurde das schon vor dem Einmarsch formuliert, wiederholt und unmissverständlich, aber ungehört. Die empörte westliche Propaganda und Öffentlichkeit, statt genau hinzuhören, reagierte mit Hohngelächter und grob diffamierenden Karikaturen. Sofort deutete sie den russischen Namen der „militärischen Spezialoperation“ um in den „russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine“. Nach nunmehr einem Jahr erlaube ich mir, das unpolemisch umzuformulieren: Es handelt sich nicht um einen Eroberungs-Angriff auf die Gesamt-Ukraine, sondern um den Einmarsch im Donbass, um diesen vor Beschuss zu schützen. Denn dort wurde der Einmarsch als Hilfe durch Verbündete massenhaft begrüsst, jedenfalls von der Mehrheit. Diese beantragte denn auch die Ausstellung russischer Pässe, wollte und erhielt den Wiederaufbau und die Normalisierung ihres Lebens, sobald das Asow-Regiment und Konsorten besiegt waren.
Ent-militarisiert wird die Ukraine teilweise, denn ihre militärischen Verluste, das gibt Kiew zu, sind enorm. Für die Rückeroberung der „verlorenen Gebiete“ reicht ihr verbliebenes Heer bei weitem nicht, deshalb fleht sie den Westen an, ihr doch moderne Artillerie, Kampfpanzer und endlich auch Kampfflugzeuge zu schenken. Sie will sogar die Krim zurückerobern, wohl um sie mitsamt der russischen Flottenbasis in Sewastopol der NATO zu schenken … Militärisch genügt der russischen Regierung realistischerweise wohl die vollständige Vertreibung ukrainischer „Besetzer“ aus dem Donbass und die Zerstörung der Raketenbasen, sie will ja ausdrücklich nicht die ganze Ukraine „erobern“. Gut vorstellbar, dass sie nach Erreichen dieser Ziele ihren Feldzug als beendet erklärt. Sollte die Ukraine allerdings in relevantem Ausmass Kampfflugzeuge erhalten und Fernlenkwaffen mit grosser Reichweite, bis zur Krim oder gar Moskau, dann wird die russische Armee die Nordwest-Flanke über den Donbass hinaus bis Kiew verschieben wollen, um die Reichweite wieder zu verringern … Zumal die letzte ukrainische Bastion an der Frontlinie (Februar 2013), Artjomowsk/Bachmut, bis dann gefallen und russisch kontrolliert sein wird …
Schwieriger zu begreifen ist, was sie mit „Ent-Nazifizierung“ meint. Moskau hoffte, dass sich das einfache Volk der Ukraine von der pro-westlichen, zum russophoben Faschismus neigenden Regierung (Selenkski und sein Machtzirkel) noch so gerne trennen wolle und aufhöre, nationalistisch, pro-westlich und russophob zu denken und zu fühlen. Für uns im Westen, die wir ja die Überheblichkeit der US-Hegemonie gegenüber dem russischen Machtzirkel und seinen Zielen teilen, ist es fast unmöglich, den Unterschied zur von Putin propagierten multi-polaren Welt-Ordnung (ohne Dominanz der USA) zu erahnen. Vielleicht hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass die ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika lieber mit Russland kooperieren, welches keine Kolonien hatte und ihnen (als Sowjetunion) half, die Kolonialherrschaft der Europäer abzuschütteln, als mit Europa und den USA, zumal diese ja den lateinamerikanischen Hinterhof immer noch wie Kolonien manipulieren – Pinochet, Guaidò und Bolsonaro lassen grüssen. Rätselhaft ist, wie Putin in der riesigen Ukraine nordwestlich des Donbass einen grundlegenden Mentalitätswandel herbeiführen will: das ukrainische und das russische Volk zu Brüdern und Schwestern zu machen – wie einst.
Sicher ist indessen, dass der kollektive Westen beide Ziele um jeden Preis verhindern will, mit Propaganda, noch mehr Sanktionen und Diebstahl russischer Vermögen, mit UNO-Abstimmungen und vor allem mit vielen Söldnern und neuen Waffen-Systemen. Den USA geht es auch noch um das für die Rüstungsindustrie unverzichtbare Titan, welches in Dnjepropetrowsk (Donbass) abgebaut wird und im Westen Mangelware ist …
Beide Seiten wollen siegen, unbedingt. Kein christlicher! Staatsmann in der NATO ist bereit, Russland genügende Sicherheitsgarantien zu geben. Die Methoden der Mediation versagen, denn die Ziele sind unvereinbar, tertium non datur. Ein Kompromiss ist nicht mehr möglich. Ein solcher lag im März 2022 unterschriftsreif vor, wie der damalige israelische Premier und Vermittler Naftali Bennet berichtet hat – die USA und Grossbritannien (nicht Selenski und nicht Russland!) hintertrieben jedoch eine Einigung (siehe vorne B.a) 1.) – Einen Vor-Entscheid wird das Schlachtfeld bringen. Aber der ist nicht das Ende dieses Kriegs zweier Welten und zweier Systeme, welche vereinfacht heissen: die privatwirtschaftliche gegen die staatliche Rüstungsindustrie. Nach dem dritten Weltkrieg, dem Krieg gegen die Dritte Welt, sind wir nun im vierten. Ich hoffe nicht, dass dasjenige System siegt, welches mich täglich enttäuscht.

 

h) Den Pazifisten unter euch stelle ich die Frage:
Hätte die russische Staats- und Militärführung, mit ihrer Angst vor Umzingelung und vor einem weiteren (mindestens Beinahe-) Krieg von Westen her, einen NATO-Beitritt der Ukraine auch ohne die verlangten und verweigerten Sicherheitsgarantien hinnehmen müssen? Ja oder Nein?
Manche Pazifistin mag antworten: JA, um des Friedens willen.
Meine Antwort ist: NEIN, um der wohlverdienten Niederlage der arroganten NATO willen. Vielleicht lernen ihre Führer, Russland wenigstens als Militärmacht so ernst zu nehmen, dass sie den nächsten Gegner, China, nicht angreifen. „Wandel durch Handel“ ist allemal rentabler …

Und jetzt noch ein Schmankerl, mein Leserbrief in der AZ vom 25.2.23:

Leserbrief zu <Ein Jahr Krieg …>

Die russische Führung befürchtete acht Jahre lang, dass die Ukraine nach dem Maidan-Putsch 2014 zu einer Militärmacht hochgerüstet werde, welche die Umzingelung seiner Westgrenze durch die NATO gefährlich vervollständige, mit auf Moskau gerichteten Raketen. Die russische Bevölkerung hat Angst, dass damit von Westen her der fünfte Angriff seit Napoleon vorbereitet werde, nach 30 Mio. Toten im 2. Weltkrieg. Putin ersuchte die NATO-Mächte bis Ende 2021 wiederholt um verlässliche Sicherheitsgarantien, d.h. einen Nichtangriffspakt, verbürgt von der UNO, der NATO, speziell von den Garantiemächten der Minsker Abkommen (Frankreich und Deutschland), sowie natürlich von der Ukraine: bitte kein NATO-Beitritt! Solche Garantien wurden leider verweigert.. Russland wäre am 24.2.22 nicht einmarschiert, wenn der Westen sie ihm gegeben hätte. Noch im März 2022, so berichtete der ehemalige israelische Premier Naftali Bennet, damals Vermittler, lag ein unterschriftsreifer Kompromiss vor. Die USA und Grossbritannien (bzw. deren Rüstungsindustrien) waren dagegen – nicht Selenski und nicht Russland. Seither herrscht Eskalation.

 

i)      Nachtrag, Oktober 2023

Seit einem Jahr ist das Staatsgebiet der Ukraine kleiner, dasjenige Russlands grösser. Es geht um die Gebiete Donezk, Lugansk, Cherson, Saporoschja und Charkow, Der Werte-Westen (D-Aussenministerin Baerbock) schreit: „völkerrechtswidrig besetzt, kriminell annektiert!“ Russland hat sich jedoch an der Handlungsweise des kollektiven Westens orientiert: Auch Serbien ist seit der Sezession des Kosovo kleiner, wie oben erwähnt: vom europäischen Gerichtshof gebilligt, und Israel ist trotz verbindlicher UNO-Resolutionen grösser, ohne dass Sanktionen es bestraft hätten (siehe Kapitel 21-23). Die Menschen in den eingangs genannten Gebieten haben sich in überwachten Plebisziten entschieden, in der russischen Föderation leben zu wollen, wie schon 2014 die Menschen auf der Krim. Wer ist also moralisch und rechtlich legitimiert, das ändern zu wollen? Russland kümmert sich nicht mehr um das Geschrei entlang dieser Frage. Es verwirklicht konsequent den Wählerwillen der betroffenen Bevölkerung.
Die NATO-Staaten jedoch fühlen sich legitimiert, ihre „regelbasierte Ordnung“ (Baerbock) mit Waffengewalt durchzusetzen. Es ging ja bis Ende 2021 darum, die Umzingelung Russlands durch den NATO-Beitritt der Ukraine abzuschliessen, ohne Russland die verlangten Sicherheitsgarantien zu geben. Brüssel will das immer noch so, Moskau nicht. Mangels Verhandlungen wird diese Frage nun auf dem Schlachtfeld entschieden. Wer den überwiegend von den ethnischen Russen bewohnten Donbass militärisch „befreien“ kann, hat den Waffengang gewonnen. Die russische Armee rückte bisher vor. Die ukrainische versprach sich von ihrer Gegenoffensive einen Durchmarsch bis auf die Krim. Diese ist nun aber kläglich gescheitert. Kiew verlegt sich deshalb zunehmend auf Terror-Attacken in russischen Gebieten, auch jenseits der alten Grenzen, bis Moskau. Dieses Gerangel ist hochgradig im Gange, mit täglich hunderten von Opfern, überwiegend Ukrainer. Parallel dazu nimmt im Westen die Kriegsmüdigkeit zu und die Spendefreudigkeit ab. Das weist in Richtung Sieg der Russen.
Und parallel dazu nimmt die globale Vormachtstellung der USA ab. Das schwerst verschuldete Land bringt es nicht einmal fertig, ein Budget für 2024 vorzulegen. Sein Repräsentantenhaus ist ohne Vorsitz. – Die deutsche Volkswirtschaft schwächelt. Frankreich musste sich geohrfeigt aus West-Afrika zurückziehen. Grossbritannien steht vor einem Regierungswechsel. Italien erstickt am Migrationsproblem. EU und NATO haben es mit internen Rebellen zu tun (Fico und Orban). Russland dagegen erfreut sich in Asien, Afrika und Lateinamerika zunehmender Beliebtheit, seine Botschaft von einer multi-polaren Welt kommt an. Und China ist so weit erstarkt, dass die USA lieber jenen System-Rivalen und vermeintlichen Feind bekriegen würden als Russland …
Und gerade diese zunehmende Schieflage ist brandgefährlich. Kürzlich haben zwei ehemalige CIA-Mitarbeiter offen zugegeben, dass die US-Wirtschaft von einer florierenden Rüstungsindustrie abhängig ist, auf Gedeih und Verderben (siehe Kapitel 37). Der „tiefe Staat“ wird also einen Krieg anstreben, eher als einen schmählichen Verhandlungsfrieden, am liebsten einen ohne eigene Opfer, wie in der Ukraine. Zum Glück für uns glaubt das Pentagon dem Präsidenten Putin: „Russland ist unbesiegbar.“ Am liebsten haben die Aktionäre der Waffenhersteller einen Beinahe-Krieg, wie jetzt in der Ukraine: „Hohe Gewinne mit fremdem Blut.“ Ganz im Sinne der Bergpredigt! Sind ja alles Christen.

Es bleibt spannend.

 

 

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